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Von Alexander Hartmann
Wenn die türkische und die US-Regierung gedacht hatten, sie könnten Rußland durch den Abschuß des russischen Kampfbombers an der syrisch-türkischen Grenze einschüchtern und international isolieren, so haben sie sich getäuscht. Im Gegenteil, Präsident Putin nutzte den Anlaß, um nachdrücklich auf das eigentliche Problem bei der Bekämpfung des „Islamischen Staats“ (ISIS) hinzuweisen: die Tatsache, daß die ISIS-Terroristen von der Türkei - und anderen Staaten - unterstützt werden. In seiner Rede vor der russischen Bundesversammlung sagte Putin am 3. Dezember:
„Wir wissen, wer sich in der Türkei die Taschen vollstopft und die Terroristen durch den Verkauf des Öls, das sie in Syrien gestohlen haben, gedeihen läßt. Die Terroristen nutzen diese Einnahmen, um Söldner anzuheuern, Waffen zu kaufen und unmenschliche Terroranschläge gegen russische Bürger und gegen Menschen in Frankreich, im Libanon, in Mali und anderen Staaten zu planen. Wir erinnern uns an die Kämpfer, die in den 1990er und 2000er Jahren in der Türkei Unterschlupf und moralische und materielle Unterstützung erhielten. Man findet sie dort immer noch.“
Am Tag zuvor hatten führende Offiziere des russischen Generalstabs in einer ausführlichen Pressekonferenz das Ausmaß der türkischen Unterstützung für ISIS dokumentiert. Insgesamt, so erklärte Generalleutnant Rudskoj, würden rund 8500 Tanklastwagen dazu eingesetzt, täglich bis zu 200.000 Tonnen Öl in die Türkei zu schaffen - meist aus den von ISIS besetzten Gebieten im Irak. In den zwei Monaten der russischen Luftangriffe habe Rußland 32 Ölförderanlagen zerstört, 11 Raffinerien und 23 Ölpumpstationen, außerdem fast 1100 Tanklastwagen. Dadurch seien der Ölschmuggel um fast 50% und die illegalen Öleinnahmen von ISIS von 3 Mio. auf 1,5 Mio.$ am Tag reduziert worden.
„Gewisse Nationen, vor allem die Türkei“, sagte General Rudskoj, „sind direkt an diesem großen Geschäftsprojekt des Islamischen Staats beteiligt und unterstützen dadurch die Terroristen. Der Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation hat unwiderlegbare Beweise für die Beteiligung der Türkei durch Aufklärungsdaten aus der Luft und dem Weltraum.“
Vizeverteidigungsminister Antonow konkretisierte dies und beschrieb, wie Präsident Erdogan, dessen Familie und die „politische Führungsspitze“ des Landes dieses Öl von ISIS kaufen. Im Westen stelle niemand Fragen „zu der Tatsache, daß der Sohn des türkischen Präsidenten eines der größten Energieunternehmen leitet, oder daß sein Schwiegersohn zum Energieminister ernannt wurde. Was für ein prächtiges Familienunternehmen!“
In seiner Rede vor der Bundesversammlung sprach Putin aber auch das grundsätzlichere Problem an, das das Aufkommen der islamischen Extremisten überhaupt möglich gemacht hatte - nämlich die Regimewechselpolitik der USA:
„Einst friedliche und stabile Länder - Irak, Libyen und Syrien - sind in Chaos und Anarchie gestürzt worden und stellen nun eine Bedrohung für die ganze Welt dar. Wir alle wissen, warum das geschehen ist. Wir wissen, wer beschlossen hat, die unerwünschten Regime zu stürzen und ihnen brutal die eigenen Regeln aufzuzwingen. Wohin hat sie das gebracht? Sie haben Unruhe gestiftet, die Staatlichkeit dieser Länder zerstört, Menschen gegeneinander aufgehetzt und dann ,ihre Hände [in Unschuld] gewaschen’, wie wir in Rußland sagen, und so den Weg für radikale Aktivisten, Extremisten und Terroristen frei gemacht.“
Putin verglich dann die gegenwärtige Lage mit der Vorgeschichte des Zweiten Weltkriegs: „Die historischen Parallelen sind in diesem Fall unbestreitbar. Die fehlende Bereitschaft, sich dem Kampf gegen den Nazismus anzuschließen, kostete uns im 20. Jahrhundert Millionen von Menschenleben im blutigsten Weltkrieg der menschlichen Geschichte. Heute stehen wir wieder Auge in Auge mit einer destruktiven und barbarischen Ideologie, und wir dürfen nicht zulassen, daß diese finsteren Kräfte von heute ihre Ziele erreichen.“ Kein Land könne den Terrorismus alleine besiegen.
Putin kam dann nochmals auf das Verhalten der türkischen Regierung zurück:
„Wir werden ihre Zusammenarbeit mit Terroristen niemals vergessen. Verrat ist für uns schon immer das schlimmste und schändlichste gewesen, was ein Mensch tun kann, und das wird sich niemals ändern. Ich möchte, daß sie sich daran erinnern - diejenigen in der Türkei, die unsere Piloten in den Rücken schossen, jene Heuchler, die versuchten, ihre Aktionen zu rechtfertigen und Terroristen zu decken.
Ich begreife nicht, warum sie das getan haben. Alle Fragen, die sie vielleicht hatten, alle Probleme, alle Meinungsverschiedenheiten, von denen wir nichts wußten, hätte man auch auf andere Weise regeln können. Und wir waren bereit, mit der Türkei in den sensitivsten Anliegen, die sie hatte, zusammenzuarbeiten; wir waren bereit, weiter zu gehen, als ihre Verbündeten das verweigerten. Ich vermute, Allah allein weiß, warum sie es getan haben. Und wahrscheinlich hat Allah beschlossen, die herrschende Clique in der Türkei zu bestrafen, indem er ihnen die Vernunft und den Verstand genommen hat.“
Diese Politik der Unterstützung von Terroristen und der Konfrontation gegen Rußland ist offensichtlich verrückt. Aber das eigentlich gefährliche an dieser Politik ist nicht, daß Erdogan sie betreibt, sondern daß er dies mit voller Rückendeckung durch US-Präsident Obama tun kann, was unmittelbar die Gefahr eines Nuklearkrieges zwischen Rußland und der NATO heraufbeschwört.
Dies ist spätestens nach dem Abschuß des russischen Kampfbombers durch die Türkei vielen Beobachtern bewußt geworden, was sich am deutlichsten in einem - von den amerikanischen Medien mit großer Aufmerksamkeit bedachten - Wortwechsel zwischen der Kongreßabgeordneten Tulsi Gabbard und US-Verteidigungsminister Ashton Carter äußerte. Gabbard konfrontierte Carter am 1. Dezember bei einer Anhörung des Streitkräfteausschusses des Repräsentantenhauses mit der Frage: „Da unsere Politik zum Sturz der syrischen Regierung Assad uns faktisch in einen Konflikt Auge in Auge mit Rußland bringt, habe ich dazu einige Fragen. Wie viele nukleare Sprengköpfe hat Rußland, die auf die USA gerichtet sind, und wie viele haben die USA auf Rußland gerichtet?“
Im weiteren Verlauf des Gesprächs betonte sie: „Aber diese scharfen Differenzen mit entgegengesetzten Zielen - auf der einen Seite strebt die US-Regierung den Sturz der Regierung Assad an, auf der anderen will Rußland die syrische Regierung Assad erhalten - schaffen ein starkes Potential und eine hohe Wahrscheinlichkeit für einen direkten Kampf oder einen direkten militärischen Konflikt. Und Rußlands Einrichtung eines Luftabwehr-Raketensystems vergrößert diese Möglichkeit, daß eine Seite - sei es aus Zufall oder aus Absicht - Flugzeuge der anderen abschießt. Und da liegt wirklich dieses Potential für einen solchen verheerenden Nuklearkrieg - daß es sich zu etwas weit Größerem entzünden könnte.“
Da Carter als offizieller Vertreter der Regierung schlecht die Politik des Präsidenten kritisieren konnte, konnte er ihr nicht mehr entgegnen als: „Ich bin da in einigem, was Sie gesagt haben, anderer Meinung.“
Inzwischen wird in amerikanischen Medien - z.B. in der Washington Times - sogar schon ganz offen die Frage nach Obamas Geisteszustand gestellt: „Hat der Präsident seine Fähigkeit verloren, die Macht und die Pflichten seines Amtes auszuüben?“ Sogar bekannte frühere Obama-Anhänger wie Dana Milbank und Richard Cohen von der Washington Post zeigten sich über Obamas Verhalten enttäuscht und bestürzt - allerdings, und das ist ebenso typisch für die amerikanischen Medien wie amüsant, vorgeblich nicht wegen seiner Politik gegenüber Rußland, sondern wegen seines desolaten Auftritts bei seiner Pressekonferenz anläßlich des COP21-Klimagipfels in Paris. „Seine Eloquenz wurde durch Launenhaftigkeit verdrängt, und er hat seine Überzeugungskraft verloren... Sein Problem ist, daß er oft nichts zu sagen hat“, schrieb Cohen in der Washington Post. Charles Hurt lästerte in der Washington Times: „Es war unmöglich, mitzuzählen, wie oft er stockte und das Schweigen nur durch ein langgezogenes Uh-um-ah überbrücken konnte“ - gefühlte 330 Mal, schätzt Hurt. „Jemand sollte den Pro-Tempore-Präsidenten des Senats alarmieren. Jemand sollte den Sprecher des Repräsentantenhauses anrufen. Wir sollten den 25. Verfassungszusatz entstauben.“ Dieser Zusatz ermöglicht die Absetzung eines Präsidenten bei Amtunfähigkeit.
Jedenfalls ist es ein großer Fortschritt, wenn nun in aller Öffentlichkeit endlich über den Geisteszustand des US-Präsidenten diskutiert und dabei sogar die Notwendigkeit einer Absetzung nach dem 25. Verfassungszusatz ins Spiel gebracht wird. Aber nicht nur in den USA, sondern auch in Europa sieht man sich zum Umdenken gezwungen - Hollandes Bündnis mit Rußland gegen ISIS ist beispielhaft dafür.
Helga Zepp-LaRouche sprach diesen Punkt letzte Woche in einer Rede vor Unternehmern in Tokio an (über die wir in der kommenden Woche noch ausführlicher berichten werden):
„Das gilt ganz besonders für Deutschland, dort findet nun in vielen Kreisen eine qualitativ neue Debatte über die Notwendigkeit statt, die strategische Lage neu zu bewerten, geleitet von der Erkenntnis, daß die Fortsetzung der gegenwärtigen Politik dazu führen wird, daß wir mit Höchstgeschwindigkeit vor die Wand fahren.
Insbesondere die Flüchtlingskrise hat die Illusion zerstört, daß das Land eine Insel der Stabilität sei und Kriege weit weg wären. Plötzlich gibt es eine öffentliche Diskussion über die Ursachen der Flüchtlingskrise, die den Zusammenhalt der EU sprengt: die anglo-amerikanischen Kriege auf der Grundlage von Lügen, die saudische Finanzierung des Terrorismus, die Ölkäufe der Türkei von ISIS, etc. All dies schafft eine Offenheit für die Notwendigkeit einer dramatischen Änderung der Politik!“
Sie betonte jedoch: „Wenn der Terrorismus ausgemerzt und die Flüchtlingskrise überwunden werden sollen, dann müssen die Operationen gegen ISIS dessen dezentralisierte Struktur in vielen Ländern berücksichtigen, aber militärische Mittel allein reichen nicht. Was wir brauchen, ist Entwicklung!
Es ist notwendig, einen umfassenden Wiederaufbauplan für Südwestasien und Afrika auf die Tagesordnung zu setzen. Nur wenn die jungen Menschen, insbesondere die jungen Männer, eine Perspektive für die Zukunft haben, die Chance, eine Familie aufzuziehen, Wissenschaftler, Ärzte oder Architekten zu werden, kann das Umfeld für das Rekrutieren der Dschihadisten ausgetrocknet werden.“
Eine Amtsenthebung des amerikanischen Präsidenten würde den Weg für genau solch eine Politik frei machen.