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Ein Beleg dafür, daß in der heutigen Zeit alles möglich ist, ist ein faszinierender Artikel von Andrew Browne im Wall Street Journal vom 1. Dezember. Ausgerechnet das Sprachrohr der Wall Street wirbt für eine Beteiligung des Westens am Megaprojekt der Neuen Seidenstraße, und das mit ausgezeichneten Begründungen! Der Artikel trägt die Überschrift „Kann Beijing die Seidenstraße als Marshallplan gegen den Terror verkaufen?“ Browne fordert darin die USA auf, sich Chinas Strategie der Neuen Seidenstraße anzuschließen, weil das notwendig sei, um der islamischen Welt Entwicklung zu bieten, und der einzige Weg, der Region Frieden zu bringen. Browne schreibt:
„Nach dem Pariser Massaker ist eine Frage, die zu stellen wert ist, ob China den Westen bewegen kann, mit ihm an einem Netz von Schnellstraßen, Eisenbahnen, Kraftwerken und Industrieparks zu arbeiten, das sich bis nach Europa erstreckt. Der Wirtschaftsgürtel der Seidenstraße ist der bedeutendste ökonomische Vorschlag, den jemals ein Land vorgelegt hat, um chaotische Teile der Welt zu stabilisieren. Noch dazu steht bares Geld dahinter: China stellt seine 3,5 Billionen Dollar an Devisenreserven hinter die Bemühungen, in den islamischen Gebieten das Wachstum anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schaffen...
Es geht um eine ungeheuer ehrgeizige chinesische Initiative, die entscheidend ist für Beijings Bemühungen, seine verwundbare Westflanke abzusichern. Das Projekt ist verbunden mit einem nicht minder umfassenden Konzept, der Maritimen Seidenstraße, die eine ähnliche transformierende wirtschaftliche Wirkung entlang der Seewege von China nach Europa über Südostasien, den Mittleren Osten und Afrika haben soll...
Fast jeder wird zustimmen, daß das Bombardieren des Islamischen Staats die zugrundeliegenden Probleme, die die mörderischen Fanatiker ausbrüten, nicht beheben wird. Hier kommt nun China mit einem entscheidenden fehlenden Element, einem Plan, den manche mit den amerikanischen Bemühungen nach dem Zweiten Weltkrieg zum Wiederaufbau der zerstörten Volkswirtschaften in Europa und Japan vergleichen. William H. Overholt, Forschungsleiter am Asien-Center der Harvard-Universität, schreibt, Chinas Seidenstraßen-Initiative sei ähnlich wie Amerikas visionäres Programm nicht nur wegen ihres geographischen Umfangs beeindruckend, sondern auch, weil sie die wirtschaftlichen, politischen und nationalen Sicherheitsaspekte zusammenführt...
Die Beseitigung der wirtschaftlichen Not und Verzweiflung, die den islamischen Extremismus nährt, ist eine Vision, die China und die USA ganz natürlich zusammenführen sollte: der Terrorismus ist für beide gleichermaßen eine Herausforderung, so wie der Klimawandel oder Seuchen, wo man bereits gut zusammenarbeitet. Und anders als in Ostasien, wo die strategischen Interessen der Amerikaner und der Chinesen kollidieren, stimmen sie in der islamischen Welt weitgehend überein.“
Browne bezieht sich als Beispiel auf die von muslimischen Uiguren bewohnte westchinesische Region Xinjiang, wo mit dem Islamischen Staat und Al-Kaida verbundene islamistische Separatistengruppen aktiv sind:
„Xinjiang kann zu dem Ort werden, wo Chinas innere Sicherheit zerbricht. Es kann aber auch zum Ausgangspunkt einer globalen Anstrengung werden, die Anziehungskraft der islamischen Todeskulte zu entkräften. Doch dafür muß China den Westen vom Wert seines Seidenstraßenplans überzeugen.“
eir