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Neue Solidarität
Nr. 28, 14. Juli 2016

Warschauer NATO-Gipfel im Spannungsfeld
zwischen neuen Provokation und Widerspruch

Von Alexander Hartmann

Im Vorfeld des Gipfels der Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten am 8./9. Juli in Warschau, der bei Redaktionsschluß noch nicht beendet war, nahmen die von der Regierung Obama angeführten Provokationen gegen Rußland weiter zu - aber es regt sich auch Widerspruch in den westlichen Reihen.

US-Präsident Obama machte schon am 1. Juli seine Haltung deutlich, als er anläßlich eines Gipfels der nordamerikanischen Staatschefs in Ottawa die „russische Aggression“ verurteilte und Kanada bedrängte, ein Bataillon ins Baltikum zu entsenden, was die kanadische Regierung auch zusagte. Zudem erneuerte die Regierung Obama Absprachen mit Island für See- und Lufteinsätze zur Überwachung russischer U-Boote im Nordatlantik, die 2006 beendet worden waren.

Am 4. Juli gab NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Tagesordnung für den Warschauer Gipfel bekannt. Stoltenberg sagte, die NATO habe die größte Verstärkung ihrer kollektiven Verteidigung seit dem Kalten Krieg durchgeführt - aber nun müßten die nächsten Schritte getan werden. „Bei unserem Warschauer Gipfel werden wir daher vereinbaren, unsere militärische Präsenz im östlichen Teil des Bündnisses zu verstärken.“

Dies gelte nicht nur für die vier Bataillone, die in Polen und den drei baltischen Staaten stationiert werden sollen, sondern auch für die multinationale Brigade, die in Rumänien stationiert werden soll, sowie für Schritte zur Verbesserung der Cyber-Verteidigung, des Zivilschutzes und der Fähigkeit zur Abwehr von Angriffen mit ballistischen Raketen, sagte Stoltenberg.

Der Gipfel wird voraussichtlich auch dem Einsatz von AWACS-Überwachungsflugzeugen zur Unterstützung der internationalen Anti-ISIS-Koalition zustimmen, aber da die USA das russische Angebot einer Zusammenarbeit bei der Überwachung von ISIS abgelehnt haben, ist klar, daß die AWACS-Einsätze auch noch anderen Zwecken dienen - wie etwa der Überwachung der russischen Präsenz in Syrien.

Bei dem Warschauer Gipfel ist die angebliche „Aggression“ Rußlands auch formal das führende Thema, und ein erheblicher Teil der Beratungen befaßt sich mit den russischen militärischen Einsätzen in der Enklave Kaliningrad - also auf russischem Boden. AP berichtete: „Militärische und zivile Führer der NATO fürchten, daß Rußland Kaliningrad dazu benutzt, eine sogenannte ,Anti Access/Area Denial’- (A2/AD) -Blase zu schaffen und Systeme wie etwa Boden-Luft-Raketen-Batterien zu nutzen, um der NATO im Fall eines Konfliktes den Zugang zu bestimmten Gebieten auf ihrem eigenen [d.h. NATO-] Territorium zu verwehren.“ Anti Access/Area Denial (A2/AD) ist der westliche militärische Ausdruck für die (völlig legitimen) Maßnahmen einiger Länder - wie beispielsweise Rußland und China, die durch Präsident Obamas aggressive Politik bedroht sind - für die Verteidigung auf ihrem eigenen Boden.

Alle diese Provokationen werden in Rußland genau registriert. Der russische NATO-Botschafter Alexander Gruschko warnte, Moskau werde Maßnahmen ergreifen, um die US-Raketenabwehr in Südeuropa - die in Wirklichkeit russische Zweitschlagskapazitäten ausschalten soll - unschädlich zu machen, indem es seine strategischen Abschreckungskräfte stärkt.

Ähnlich warnte beim Jahrestreffen der OSZE in Wien der russische Vertreter, Anton Masur, die NATO-Truppenkonzentrationen an der russischen Grenze und die US-Raketenabwehr „verschlechtern die strategische Lage“. Masur sagte am 5. Juni: „Trotz unserer Warnungen vor der Kontraproduktivität und den Risiken der Osterweiterung der NATO haben die Grenzen des größten Militärblocks beinahe die russischen Grenzen erreicht. Auf dem Territorium der neuen Mitglieder haben Arbeiten begonnen, um militärische Infrastruktur aufzubauen. Militärische Aktivitäten neuen Formats wurden am Boden, in der Luft und zur See gestartet, darunter eine Mission zur Luftüberwachung und multinationale Manöver.“ Die Raketenabwehrstellungen der NATO in Rumänien und Polen bedeuteten, so Masur, daß die NATO „auf ein praktisches Gleis eingeschwenkt ist. Nichtnukleare Staaten, darunter die in Osteuropa, nehmen an den Nuklearmanövern der USA teil. Das Bündnis setzt auf konfrontierende Pläne im Baltikum und auch im Schwarzen Meer. Die Schritte der NATO haben also schon vor der derzeitigen Krise in den Beziehungen zwischen Rußland und der NATO Risiken und Herausforderungen für Rußlands Sicherheitsinteressen hervorgerufen. Das hat das Vertrauen ernsthaft untergraben.“

Widerspruch auch im Westen

Im US-Sicherheitsestablishment herrscht hinsichtlich der Kriegsprovokationen eine sichtliche Spaltung. So veröffentlichte die sehr angesehene Gruppe „Veteran Intelligence Professionals for Sanity“ (VIPS), in der sich pensionierte US-Geheimdienstler von CIA, NSA, FBI und des Militärs zusammengeschlossen haben, vor dem Gipfeltreffen einen Offenen Brief an die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, in dem sie dieser raten: „Bevor die Dinge noch schlimmer werden, müssen hohe NATO-Führer eine klare Präferenz für Staatskunst und eine Diplomatie des Gebens und Nehmens gegenüber dem Säbelrasseln demonstrieren. Ansonsten ist ein militärischer Zusammenstoß mit Rußland wahrscheinlich, mit der stets gegenwärtigen Gefahr einer Eskalation zu einem nuklearen Schlagabtausch.“

Unterzeichnet ist der Brief u.a. von Ray McGovern, Larry Johnson, Senator a.D. Mike Gravel und Scott Ritter. Sie äußern sich erfrischend deutlich:

Interessanterweise regt sich auch in Großbritannien Widerspruch gegen die Konfrontationspolitik der NATO gegenüber Rußland. Der Verteidigungsausschuß des britischen Parlaments veröffentlichte unmittelbar vor dem Warschauer NATO-Gipfel einen 58seitigen Bericht, in dem ein „sinnvoller Dialog“ zwischen der NATO und Rußland gefordert wird, „damit wir nicht Gefahr laufen, in einen Konflikt abzurutschen, der durch bessere Kommunikation vielleicht vermieden werden kann... Der Dialog zwischen der NATO und Rußland ist wesentlich, um das Risiko einer militärischen Eskalation und von Missverständnissen zwischen beiden zu vermeiden“, heißt es in dem Bericht. „Man muß davon ausgehen, daß auf jede militärische Konsolidierung der NATO spiegelbildlich auf der russischen Seite der Grenze geantwortet wird. Eine weitere Militarisierung der Grenze auf diese Weise kann das Risiko von Mißverständnissen, Fehlkalkulationen oder Zwischenfällen vergrößern.“ Der Ausschuß fordert in dem Bericht Gespräche mit Moskau von Militär zu Militär, „sowohl vor als auch während des Warschauer Gipfels, um das Potential für eine unbeabsichtigte Eskalation der Feindseligkeiten zu reduzieren“.

Nürnberger Tribunal wegen des Irakkriegs?

Diese Haltung des Widerstands gegen die Kriegspartei zeigte sich auch im Bericht der Chilcot-Kommission über die Lügen, mit denen der Irakkrieg begründet wurde. Wie Sir John Chilcot, der die Untersuchung leitete, in einer zwölfseitigen Erklärung darlegt, die er am Tag der Vorlage des Berichtes veröffentlichte, war dieser Krieg nicht gerechtfertigt. „Vielleicht waren militärische Aktionen im Irak an einem gewissen Punkt notwendig“, sagt Chilcot, aber im März 2003 habe es keine unmittelbare Bedrohung durch Saddam Hussein gegeben. Die Strategie der Eindämmung hätte angepaßt und noch einige Zeit fortgesetzt werden können, und die Mehrheit des UN-Sicherheitsrates sei für eine Fortsetzung der Inspektionen und Überwachung durch die UN gewesen.

Mit anderen Worten: Tony Blair, der damalige britische Premierminister und Hauptkriegstreiber, hat über die Bedrohung durch Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen im Irak gelogen - und diese Lügen wurden dazu benutzt, einen illegalen Krieg in Gang zu setzen.

Der Kolumnist George Monbiot kam in einem Kommentar im Londoner Guardian über die Konsequenzen der Feststellungen der Chilcot-Kommission auf den Punkt, indem er das Vorbild des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals anführte:

Hoffen wir, daß der sich regende Widerstand im Westen gegen die Konfrontationspolitik der NATO schon bald so zunimmt, daß diese beendet werden muß. Denn wenn dies nicht bald geschieht, könnte es zu einer nuklearen Konfrontation kommen - nach der ein Nürnberger Tribunal gegen die Verantwortlichen vermutlich nicht mehr möglich sein dürfte.