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Neue Solidarität
Nr. 50, 15. Dezember 2016

Kann Washington das geopolitische Denken überwinden?

Von William Jones

Bei einem Seminar in Washington zeigte sich der Gegensatz zwischen der geopolitischen Denkweise des Westens und der kooperativen Grundhaltung Chinas.

Mit der Aussicht auf eine Änderung der US-Außenpolitik unter dem kommenden Präsidenten Donald Trump stößt Chinas Initiative „Gürtel und Straße“ seit der Präsidentschaftswahl in den Washingtoner Denkfabriken auf immer größeres Interesse. Eine Art Wasserscheide war in der Hinsicht eine Veranstaltung des China Energy Fund Committee (CEFC) und des Institute for the Analysis of Global Security (IAGS) am 30. November, weil dort der Seidenstraßenplan in seiner ganzen Dimension vorgestellt und die amerikanische Reaktion darauf eingeholt wurde.

Das CEFC (mit Sitz in Hongkong und Virginia) ist eine Nichtregierungsorganisation mit Beraterstatus beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, die sich vorrangig mit Fragen der Energieversorgung, aber auch allgemein der internationalen Zusammenarbeit befaßt. Das IAGS ist eine US-Denkfabrik, die sich auf den Zusammenhang zwischen Energie- und Sicherheitspolitik spezialisiert und von Robert MacFarlane, dem früheren Sicherheitsberater von US-Präsident Ronald Reagan, gegründet wurde.

Das Forum gab einer hochrangigen chinesischen Delegation und Vertretern amerikanischer Denkfabriken Gelegenheit, ihre Ansichten über „Gürtel und Straße“ darzulegen, um sich einem Konsens über die amerikanisch-chinesische Kooperation bei der Neuen Seidenstraße anzunähern. Dabei traten aber auch die krassen Unterschiede der Sichtweise zutage, mit der beide Seiten das Projekt betrachten.

Die Initiative, die Chinas Präsident Xi Jinping im September 2013 vorstellte, hieß ursprünglich „Ein Gürtel und eine Straße“, aber dieser Name gilt inzwischen als veraltet, weil im Rahmen des Projekts schon mindestens sechs verschiedene Routen ausgebaut werden. Deshalb spricht man jetzt meist von der „Gürtel- und Straßen-Initiative“ (Belt and Road Initiative), kurz BRI.

Ausgangspunkt der BRI ist der Bau großer Verkehrsnetze, insbesondere Hochgeschwindigkeits- und konventionelle Eisenbahnen, Autobahnen und Häfen, aber diese bilden lediglich eine Plattform für große Investitionen und umfassende wirtschaftliche Entwicklung der mit diesen Verkehrsnetzen erschlossenen Regionen. Das Projekt ist noch viel größer als der Marshallplan der Nachkriegszeit, aber seine Befürworter vergleichen es ungern mit dem Marshallplan, weil es ein ganz neues Paradigma des Denkens verkörpert. Es erinnert vielmehr an die Ära von Kooperation, Handel und kulturellem Austausch zur Zeit der alten Seidenstraße.

Das Denken hinter der Seidenstraße

Der CEFC-Generalsekretär Patrick Ho, von dem die Initiative zu dem Forum stammt, brachte den kulturellen Paradigmenwandel der Neuen Seidenstraße am schönsten zum Ausdruck. Er sagte: „Wir leben in einer bedrohten Welt. Es herrscht große Armut, und obwohl wir genug Ressourcen haben, die für uns alle reichen würden, fehlt es 2,8 Mrd. Menschen immer noch am Lebensnotwendigen. Es herrscht Mangel an Trinkwasser für Milliarden Menschen. Die Globalisierung brachte uns Entwicklung, aber auch neue Probleme. Wir teilen die Früchte des Fortschritts nicht.“

Ho fuhr fort: „Die Globalisierung ist heute ein System in einer Krise, ein zerbrochenes System. Es kann den menschlichen Fortschritt nicht vorantreiben. Es gibt zu viele Menschen, die zurückbleiben. Wir brauchen jetzt ein holistisches Modell, das alle einschließt, und einen Übergang zu einem nachhaltigeren und nützlicheren Modell.“

Er betonte: „Die Grundlage von Gürtel und Straße ist Inklusivität und Teilen.“ Das sei den Chinesen sehr wichtig. Nach dem Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt sei China auf einen „neuen Engpaß in der Entwicklung“ gestoßen und habe „ein neues Modell von Wachstum und Entwicklung“ gesucht. „Das fand es in der friedlichen gemeinsamen Entwicklung und im Teilen mit den Nachbarn, mit einem Programm, das jetzt 60 Länder umfaßt und 4,9 Milliarden Menschen betrifft.“

Im Verlauf der Veranstaltung wurde dann deutlich, daß diese Frage der „Inklusivität“ für einige der amerikanischen Gesprächsteilnehmer ein Stein des Anstoßes ist.

Beijing hatte als hochrangigen Redner Chen Guoqiang entsandt, den Generaldirektor der Abteilung für internationale Zusammenarbeit im Zentrum für Entwicklungsforschung (DRC) des chinesischen Staatsrates. Er beklagte das mangelnde Verständnis für die Gürtel- und Straßen-Initiative im Westen. Die Gründe hierfür lägen im Mangel an Informationen und in der Rücksicht auf vermeintliche Eigeninteressen des Westens. Zudem seien bisher zu wenige chinesische Experten in die Vereinigten Staaten gekommen, um die Ziele und Absichten der Initiative zu erläutern.

Chen fuhr fort, die herrschende Weltwirtschaftsordnung sei ganz auf die entwickelten Länder ausgerichtet, die Entwicklungsländer profitierten nicht von den Vorteilen der Globalisierung. Der Zweck der BRI sei es, eine Wirtschaftsordnung zu schaffen, die auf dem Teilen beruht. Die BRI stehe außerdem in Einklang mit Chinas einheimischem Entwicklungsprogramm China 2030. „Beide Programme nehmen Rücksicht auf die Entwicklungsprioritäten jedes Landes, und beide konzentrieren sich auf die Notwendigkeit von Infrastruktur“, sagte Chen. „Die Ausweitung der BRI wird China und der übrigen Welt Nutzen bringen. Erstens wird es nachhaltig für das Gemeinwohl sorgen; zweitens wird es Chinas Erfahrungen mit Entwicklung und Armutsbekämpfung weiterverbreiten; und drittens wird es Süd-Süd-Kooperation und trilaterale Kooperation umfassen.“

Im gleichen Sinne äußerten sich auch die weiteren chinesischen Redner. Zhao Jinping, ebenfalls ein Experte vom DRC, betonte, mit der BRI entstehe ein neuer Kooperationsraum, der auch die Vereinigten Staaten und Japan mit einschließe. Dabei müsse man auch die Nord-Süd- und die Ost-West-Kooperation stärken.

Liu Weidong bezeichnete „Gürtel und Straße“ als eine neue Stufe der „inklusiven Globalisierung“ und zitierte das chinesische Sprichwort: „Wenn du reich werden willst, baue eine Straße!“

Prof. Li Xiangyang erklärte, für die BRI sei auch das Prinzip „Rechtschaffenheit geht vor Profiten“ von Bedeutung. Zhao erläuterte dies: „Präsident Xi sagte, wir sollten Gewinn machen, aber auch Chinas Wertschätzung auf der Welt erhöhen. Für die Gürtel- und Straßen-Initiative gibt es keinen festen Zeitplan und keine festen quantitativen Maßstäbe.“

Als Vertreter der scheidenden Regierung Obama erläuterte der Handelsbeauftragte im US-Außenministerium, Ziad Haider, die amerikanische Sicht der BRI. Die Regierung Obama hat die BRI weitgehend ignoriert und versuchte, verbündete Staaten vom Beitritt zur Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB) abzuhalten, aber Haider gab zu verstehen, daß es auf der diplomatischen Ebene durchaus eine Zusammenarbeit gibt.

Zu Beginn seiner Rede erinnerte er an den gewaltigen Infrastrukturbedarf auf der Welt. Die BRI sei eine „integrierte Vision“. Haider ließ erkennen, daß das US-Außenministerium daran interessiert ist, daß sich amerikanische Unternehmen daran beteiligen. Die BRI sei besonders wichtig für Investitionen in die Infrastruktur, Harmonisierung der Zölle und neuartige Verbindungen zwischen den Ländern entlang der Seidenstraßen. Finanzierungshilfen der Overseas Private Investment Corp. (OPIC) und der Export-Import-Bank stünden zur Verfügung, damit amerikanische Unternehmen sich beteiligen können. „China sollte nicht der einzige Akteur in diesem Bereich sein“, sagte Haider. Das US-Außenministerium arbeite mit Chinas Nationaler Entwicklungs- und Reformkommission zusammen, der Behörde, die maßgeblich mit der Entwicklung der BRI beauftragt ist. Und es gebe Fortschritte bei der Zusammenarbeit mit der AIIB.

Eingefleischtes geopolitisches Denken

Nachdem das Thema der Vormittagssitzung der Infrastrukturbedarf der Welt und der wirtschaftliche Aspekt der BRI gewesen war, befaßten sich am Nachmittag Vertreter amerikanischer Denkfabriken mit dem politischen Aspekt der Initiative.

Ihre Argumente und Bedenken machten deutlich, daß die amerikanische Seite große Schwierigkeiten hat, die Grundidee hinter der Neuen Seidenstraße zu verstehen. Gal Luft vom IAGS berichtete über eine Studie, die er erstellt hatte und die bei der Konferenz ausgelegt war; der Titel lautet: „Man braucht einen Weg: Chinas Gürtel- und Straßen-Initiative, eine amerikanische Antwort“. Der Bericht enthält zwar einige interessante Details und Karten zu den verschiedenen Seidenstraßenrouten, aber Lufts Ausführungen dazu waren vollkommen durchdrungen von geopolitischen Beschränkungen und Überlegungen. Das ist typisch für das vorherrschende geopolitische Denken im US-Establishment, mit dem eine Initiative wie die BRI für immer ein unerfüllbarer Wunschtraum bliebe. Beispielsweise äußerte Luft starke Bedenken, weil Bahnstrecken der BRI durch den Iran führen: Er halte es für falsch, den Iran zu einem „Torwächter“ von Gürtel und Straße zu machen.

Die gleiche Denkblockade zeigte sich auch in den weiteren Ausführungen der amerikanischen Denkfabriken. Einige Redner, wie Christina Lin vom Center for Transatlantic Studies an der Johns-Hopkins-Universität, versuchten zwar, ihren Kollegen verständlich zu machen, daß wir uns nun in eine „multipolare Welt“ hinein bewegen. Aber die meisten anderen waren nicht bereit, diese Vorstellung zu akzeptieren.

Richard Hoagland, ein früherer US-Botschafter in Kasachstan, der Interesse für die Gürtel- und Straßen-Initiative geäußert hatte, als Präsident Xi sie 2013 in Kasachstan vorstellte, bemerkte etwas verklausuliert, bei derlei großen Projekten gebe es immer „Gewinner und Verlierer“.

Das ist das große Problem der Geopolitiker, daß ihre Welt ein „Nullsummenspiel“ ist – während aus der Sicht der Neuen Seidenstraße alle Gewinner sind.

Widerspruch gegen die Geopolitik

Besonders aufschlußreich waren in dieser Hinsicht die Ausführungen von Daniel Markey, Professor an der John-Hopkins-Universität und Senior Fellow bei der maßgeblichen außenpolitischen Denkfabrik Council on Foreign Relations (CFR). In der Diskussion nach einer der Reden hatte der Autor dieses Artikels als Vertreter von Executive Intelligence Review das Problem der geopolitischen Denkweise in Gal Lufts Vortrag angesprochen und betont, die BRI könne nur Erfolg haben, wenn man diese geopolitische Sicht aufgebe. Möglicherweise sah Markey sich durch diese Bemerkungen veranlaßt, die Geopolitik zu verteidigen.

Markey hat als Pakistan-Experte Karriere gemacht, und er äußerte sich sehr kritisch zu Chinas Vorhaben, eine Straße von Kashgar in Westchina zum pakistanischen Hafen Gwadar zu bauen. Angesichts der extremen Armut und instabilen Lage in diesem Gebiet könne China seiner Ansicht nach nur ein geopolitisches Motiv haben, die Straße durch diese zerstörte Region zu bauen, nämlich sich Zugang zum Indischen Ozean zu verschaffen. Und er fügte noch etwas schnippisch an, die (von China bevorzugte) „Geoökonomie“ könne die „Geopolitik“ nicht ersetzen.

In der anschließenden Diskussion fragte der Autor Markey sarkastisch: „Sicher sind Gebiete, die so kaputtgemacht wurden wie Syrien, der Iran, Gaza und übrigens auch die Bronx in New York nicht der tollste Ort, um ein Seidenstraßenprojekt anzufangen. Aber Tatsache ist: Wenn man dort keine Neue Seidenstraße aufbaut, dann werden sie für die Menschen, die dort leben, immer eine Hölle bleiben!“ Hier nickten sogar einige Redner auf dem Podium. Markey versuchte darüber hinwegzugehen, aber danach fragte ihn Alicia Cerretani vom LaRouche-Aktionskomitee nach seiner Meinung, warum die chinesische und die amerikanische Sichtweise, die er zum Ausdruck brachte, so völlig unterschiedlich seien. Darauf war Markey offenbar nicht vorbereitet, er vermied auch hier eine klare Antwort.

Der Wortwechsel veranlaßte jedoch einige der chinesischen Redner, das Wort zu ergreifen. Prof. Liu äußerte sich enttäuscht darüber, daß die Amerikaner in solchen Fragen, wo es um das Schicksal von Milliarden Menschen geht, immer „politisieren“ müssen. „Wir denken nicht so über diese Dinge.“

Auch Prof. Zhao äußerte Widerspruch: „Seit Chinas Aufstieg sagen die Amerikaner immer, sie wollten, daß China eine größere Rolle spielt. China hat seine Verantwortung als Großmacht erfüllt, indem es Gürtel und Straße entwickelt hat, aber einige Länder sehen die BRI in keinem positiven Licht. Sie müssen verstehen, daß viele Länder einen schrecklichen Entwicklungs-Rückstand haben. Es gefällt uns nicht, daß alle das nur durch die politische Brille betrachten. Wir tun das jedenfalls nicht, und das ist ein Konsens, zu dem wir bei unserem Studium von Gürtel und Straße gelangt sind.“

Das Stretto

Zum Schluß des Forums präsentierte Patrick Ho das Stretto dieser von ihm mitorganisierten, etwas dissonanten Sinfonie, indem er einen Überblick über die Geschichte der Entwicklung Chinas bis zum heutigen Punkt in der Weltgeschichte gab. „Es ist unhaltbar, daß nur ein Teil der Welt das Gefühl von Wohlstand hat“, sagte er. „Was wir heute brauchen, ist eine Strategie für Entwicklung - eine langanhaltende und nachhaltige. Wir brauchen weise Konsultationen und gemeinsame Beiträge. Nur durch eine Win-Win-Strategie können wir Fuß fassen. Gürtel und Straße sind keine Einflußsphäre, sondern ein Ausgleichen der Interessen. Sie bereiten den Weg für die Schicksalsgemeinschaft der Menschheit.“

Damit dieses Projekt Erfolg haben könne, so Ho weiter, müsse man ein breites Verständnis dafür schaffen. Er erinnerte an Chinas Aufstieg zu Perioden der Größe in der Geschichte, bedauerte jedoch, es gebe eine „Abkopplung“ im Verständnis Chinas. „Es kann Jahrhunderte dauern, bis der Westen China versteht. Marco Polo begann dieses Streben, und es wurde fortgesetzt von den Jesuiten Matteo Ricci und Joachim Bouvet [ein Briefpartner von Gottfried Wilhelm Leibniz]. Das war der erste Dialog zwischen den beiden riesigen Zivilisationen. Und dann wurden die Türen kaltherzig geschlossen.“

Später „weiteten die westlichen Länder den Kolonialismus auf den Osten aus“, diese Zeit sei für China ein Jahrhundert der Erniedrigung gewesen. Nun sei China mit Gürtel und Straße auferstanden und wieder ein bedeutender Akteur geworden. „Gürtel und Straße ist eher eine Vision als ein Projekt - eine Vision, die sich ständig ausweitet und dies vielleicht immer tun wird. Sie ist eine Verbindung der Herzen und Köpfe, sie verbindet Seelen miteinander, sie verbindet den Chinesischen Traum mit dem Amerikanischen Traum und anderen Träumen: Freiheit von Not, Freiheit von Furcht, Einklang mit der Natur und Frieden.“

Er ermutigte die Vereinigten Staaten, sich an diesem Projekt zu beteiligen. Er schlug vor, die Regierung Trump solle in der BRI eine Plattform für eine engere Zusammenarbeit zwischen den USA und China sehen, den Handel neu ausrichten, um die BRI zu berücksichtigen, in den internationalen Entwicklungsbanken eine andere Haltung einnehmen und den Aufbau von Infrastruktur fördern, und die Sicherheit entlang der Seidenstraßen unterstützen.

Es ist zu hoffen, daß die Regierung Trump diesen Vorschlägen zustimmt, aber wie man an dem Forum sehen konnte, wird es noch einige Anstrengungen brauchen, um die Geisteshaltung der Volksvertreter zu ändern, denn sie haben Schwierigkeiten, Visionen zu verstehen. Vor allem muß man der Bevölkerung, die von der Qualität der politischen Führung so enttäuscht wurde, deutlich zeigen, daß es eine Vision für eine bessere Welt gibt, an der jeder teilhaben kann. Man muß nur über den Tellerrand hinaus schauen, um dies zu sehen, und entsprechend handeln, um die Institutionen der transatlantischen Welt zur Vernunft zu bringen.