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Von Diane Sare und Alexander Hartmann
Alle denkenden Menschen wundern sich über die Kluft zwischen Präsident Trumps Aussagen, er sei der „Friedenspräsident“, der sieben oder acht Kriege beendet hat, und den tödlichen Folgen seiner Handlungen, wie der willkürlichen Ermordung von Menschen auf venezolanischen Booten, dem andauernden Stellvertreterkrieg zwischen der Ukraine und Rußland und einem Waffenstillstand in Gaza, den Israel ungestraft verletzt. Wir sind Zeugen eines Völkermords im Sudan, schrecklichen Leidens in Haiti und der Not zahlloser Menschen in den westlichen Ländern. Jetzt hat der „Friedenspräsident“ angekündigt, Atomwaffentests wieder aufzunehmen, was die Gesundheit und Sicherheit aller gefährdet. Was bedeutet all das? Ist Trump nur ein gefühlloser Lügner? Weiß er, was vor sich geht? Wird er falsch informiert, verliert er den Verstand – oder beides? Und spielt das überhaupt eine Rolle?
In dieser Situation muß man Abstand gewinnen oder, wie die Gründerin des Schiller-Instituts Helga Zepp-LaRouche sagen würde, einen Sprung auf eine höhere Ebene machen, wo wir einen längeren Bogen der Geschichte betrachten. So können wir über die Dynamik des Fortschritts der Menschheit insgesamt und über die Schönheit und Güte der Schöpfung nachdenken, die kein Handeln gegen ihre Prinzipien zuläßt. Es ist ein Glück für die Menschheit, daß die Geschichte nicht aus einer bloßen Abfolge von „aktuellen Ereignissen“ über Wochen und Monate besteht. Es ist umgekehrt: Der dynamische Verlauf der Geschichte, geprägt von der zugrunde liegenden kulturellen und philosophischen Weltanschauung der Gesellschaft, bestimmt das Fortschreiten des „Tagesgeschehens“.
Irgendwie hat es die Menschheit trotz all ihrer Fehler geschafft, auf diesem Planeten auf über acht Milliarden Menschen anzuwachsen. Dazu muß die Gesellschaft wissenschaftliche Entdeckungen und Erfindungen annehmen, und sie muß bereit sein, als Gesellschaft statt als bloße Ansammlung von Einzelgängern zu funktionieren. Sieht man sich Bilder von Städten auf der ganzen Welt und jedem Kontinent an, so sieht man überall Menschen, die Autos fahren, Busse nehmen, abends das Licht einschalten. Auch wenn noch nicht alle rund um die Uhr Strom oder sauberes Wasser haben – all das wäre nicht möglich gewesen, wenn jeder einfach beschlossen hätte, in die Wüste, den Dschungel, in den Wald oder aufs Feld zu gehen und sich allein durchzuschlagen.
Der verstorbene amerikanische Ökonom und Philosoph Lyndon LaRouche hat diesen Punkt häufig betont und stellte ihn in den Mittelpunkt der Arbeit der von ihm gegründeten Nachrichtenagentur Executive Intelligence Review und ihren Publikationen, zu denen auch die Neue Solidarität gehört. In der Danksagung seines 1983 erschienenen Buches Es gibt keine Grenzen des Wachstums erläuterte LaRouche seine Gedanken:
„Die Arbeitsweise dieses Nachrichtendienstes unterscheidet sich in zwei grundsätzlichen Punkten von der Arbeit der meisten führenden Wochenzeitungen. Die redaktionelle Politik hat sich den Humanismus der Goldenen Renaissance des 15. Jahrhunderts zu eigen gemacht, eine Weltanschauung, für die Gottfried Wilhelm Leibniz und Benjamin Franklin standen. Die Herangehensweise an aktuelle Ereignisse gründet sich auf eingehende historische Studien über Politik, Geistesgeschichte und politische Fraktionen in jedem dieser Spezialressorts.“
„Neben jenen allgemeinen Aspekten, die den längeren Verlauf der Geschichte betreffen”, schreibt LaRouche weiter, „sind wir meist so mit unserem kurzen vergänglichen Leben beschäftigt, daß wir dazu tendieren, jenen Teil unseres Wissens, den wir ,Erfahrung’ nennen, überzubetonen… Allerdings sind gewöhnliche tagtägliche Erfahrungswerte, selbst über den Zeitraum mehrerer Generationen hinweg, keine kompetente empirische Grundlage, um die tatsächlichen tieferen Gesetze menschlicher Verhaltensweisen abzuleiten. Wenn man die Entwicklungen in der von der europäischen Kultur geprägten heutigen Welt verstehen will, muß man den Entwicklungsprozeß der europäischen Kultur in den vergangenen 2500 Jahren kennen.“
Aus dieser Perspektive möchten wir die Aufmerksamkeit unserer Leser auf die tiefere Bedeutung der Rede lenken, die Papst Leo XIV. am 25. Oktober vor etwa 10.000 Pilgern aus 93 Ländern gehalten hat, die sich anläßlich der Sonderaudienz zum Heiligen Jahr auf dem Petersplatz in Rom versammelt hatten.1 In den Mittelpunkt seiner Ansprache stellte er die Beiträge des Kardinals Nikolaus von Kues im 15. Jahrhundert, „einem Kardinal, der bis heute wenig bekannt ist“, wie der Papst zugab. Er hob Cusas zentrales Konzept des „Zusammenfalls der Gegensätze“ hervor und betonte dessen enorme Bedeutung für die Gegenwart.
Der Papst sprach pointiert von „einer nicht weniger turbulenten Zeit – dem 15. Jahrhundert“, als „viele seiner Zeitgenossen in Angst lebten; andere sich für neue Kreuzzüge rüsteten“. Cusa hingegen „glaubte an die Menschheit. Er verstand, daß es Gegensätze gibt, die zusammengehalten werden müssen.“ Der Papst forderte eindringlich: „Laßt uns zu einem Volk werden, in dem Gegensätze zur Einheit gebracht werden“; auch wenn es noch nicht existiert, „müssen wir mit Cusa auf das hoffen, was noch nicht sichtbar ist“: eine Zukunft, die der Würde des Menschen würdig ist.
Helga Zepp-LaRouche hat die Äußerungen des Papstes aufgegriffen und dazu einen Offenen Brief veröffentlicht, in dem sie Vertreter aller Religionen und Kulturen weltweit dazu aufruft, inspiriert von Nikolaus von Kues’ Methode des „Zusammenfalls der Gegensätze“ einen Dialog zur Lösung der strategischen Krisen der Menschheit zu beginnen.4
Wir zitieren daraus die wichtigsten Passagen:
„In der heutigen Welt, die von Kriegsgefahr, geopolitischen Spannungen, Hungersnöten, Armut und kulturellen Krisen geprägt ist, kam eine der wichtigsten und ermutigendsten Interventionen von Papst Leo XIV. in seiner Jubiläumsaudienz am 25. Oktober 2025 vor Zehntausenden von Pilgern. Der Heilige Vater stellte in seiner Predigt Nikolaus von Kues, den Kardinal und herausragenden Denker des 15. Jahrhunderts, als jemanden vor, dessen Denkweise es dem Menschen ermöglicht, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu sehen und einen Weg zu finden, selbst die schwierigsten Probleme zu lösen.
Der ausführliche Verweis des Papstes auf Nikolaus von Kues und dessen Konzept der coincidentia oppositorum, des Zusammenfalls der Gegensätze, ist von höchster strategischer Bedeutung, da es den Schlüssel dazu liefert, für jedes Problem stets eine Lösung auf einer höheren Ebene zu finden als der, auf der das Problem entstanden ist. Cusa entwickelte in seiner De Docta Ignorantia und anderen Schriften das Argument, daß der Mensch als imago viva dei, als lebendiges Abbild Gottes, immer seine schöpferischen Kräfte (,vis creativa‘) nutzen kann, um das höhere ,Eine‘ zu finden, das von größerer Kraft und Größe ist als das ,Viele‘. Diese Denkweise ermöglicht es dem menschlichen Verstand, zuerst an die Einheit der Menschheit zu denken und dann an deren Vielfalt, um auf diese Weise ansonsten scheinbar unlösbare Konflikte zu überwinden.
Der Papst erklärte, daß in den unruhigen Zeiten des 15. Jahrhunderts, als das Christentum von äußeren Kräften bedroht war, weder die Einheit der Kirche noch die Aussicht auf Frieden in Sicht war. Aber Nikolaus verstand, daß ,es Gegensätze gibt, die zusammengehalten werden müssen, und daß Gott ein Geheimnis ist, in dem alles, was in Spannung steht, seine Einheit findet… Welch großes Geschenk für die Kirche!‘, sagte der Papst. ,Welche Einladung zur Erneuerung des Herzens!‘ Von Nikolaus, so fuhr er fort, könne die Kirche lernen, Raum zu schaffen, Gegensätze miteinander versöhnen und auf das zu hoffen, was noch nicht sichtbar ist.
Wir möchten Sie auf diese äußerst wichtige Intervention von Papst Leo XIV. aufmerksam machen, da sie einen neuen Ansatz für die oben genannten Herausforderungen bietet. Seit Jahrzehnten haben mein verstorbener Ehemann Lyndon LaRouche, das Schiller-Institut und ich diesen Ansatz von Cusa stets gefördert, ein Umstand, den der amerikanische Pater Harry Bury kürzlich in einer wichtigen Stellungnahme hervorgehoben hat (siehe „Nikolaus von Kues und Lyndon LaRouche können uns inspirieren“).
Das Schiller-Institut möchte Sie einladen, einen Dialog zwischen Vertretern verschiedener Religionen, aber auch zwischen Wissenschaftlern, Denkfabriken und generell Menschen guten Willens zu beginnen, um Cusas Methode des Zusammenfalls der Gegensätze auf die dringenden Probleme der gegenwärtigen Situation anzuwenden. So wie Nikolaus von Kues der wichtigste intellektuelle Einfluß für die Goldene Renaissance des 15. Jahrhunderts war, so können wir sein Denken aufgreifen und eine neue Renaissance für unsere heutige Welt einleiten.“
Anmerkungen
1. https://www.vatican.va/content/leo-xiv/de/audiences/2025/documents/20251025-udienza-giubilare.html
3. https://www.solidaritaet.com/neuesol/2020/20/legacy.htm
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