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Neue Solidarität
Nr. 25, 17. Juni 2009

NICE entscheidet über Leben und Tod

Gesundheitssystem. Das Nationale Institut für Gesundheit und klinische Exzellenz (NICE) hat in Großbritannien drastische Kürzungen im Gesundheitssektor durchgesetzt, und soll jetzt bei den Gesundheitsreformen der Regierung Obama als Modell dienen.

Im Verlauf des Niedergangs der britischen Realwirtschaft in den letzten Jahrzehnten wurde 1999 auch ein besonderer Mechanismus geschaffen - das Nationale Institut für Gesundheit und klinische Exzellenz (NICE) - das die 1948 durch den Nationalen Gesundheitsdienst (NHS) geschaffene medizinische Versorgung der Briten einschränken sollte. NICE dekretiert, welche Medikamente, Geräte, Operationen und Behandlungspraktiken der NHS nutzen darf, und welche nicht - auf der Grundlage von Kosten-Nutzen-Überlegungen.

Seit Jahren wird NICE wegen seiner Praktiken von den NHS-Patienten, Ärzten und Krankenhäusern gleichermaßen angegriffen. Innerhalb eines einzigen Jahrzehnts hat seine Politik der selektiven Verweigerung von Krebsmedikamenten, Operationen, Dialyse und anderen Behandlungen die Todesrate ganzer Altersgruppen und Schichten in Großbritannien merklich vergrößert - ähnlich wie die an Kosten-Nutzen-Überlegungen orientierte Politik der Nazis im Dritten Reich. Und genau das war die Absicht.

Trotzdem wird NICE jetzt als Modell angepriesen, das bei der amerikanischen Gesundheitsreform (und anderswo) als Vorbild dienen soll. Das muß verhindert werden, denn diejenigen, die sich für eine amerikanische Version von NICE stark machen, also für einen „Nationalen Gesundheitsrat“, einen mit entsprechenden Befugnissen ausgestatteten Beirat für Medicare-Leistungen oder ähnliches, dienen schlicht und einfach den Finanzinteressen hinter der Politik der Verweigerung medizinischer Behandlung, um die Geldflüsse in die Versicherungsnetzwerke der „verwalteten Versorgung“ sicherzustellen, die jetzt das Gesundheitssystem der USA soweit ausgeplündert haben, daß es vor dem Zusammenbruch steht - mit der Folge, daß Menschen vorzeitig sterben, so wie in Großbritannien.

Tony Blairs NICE

NICE nahm seine Arbeit am 1. April 1999 auf. Es wurde vom Gesundheitsministerium der Regierung Tony Blair (1997-2007) geschaffen, mit der propagandistischen Begründung, man müsse die „Disparitäten“ der Qualität und Kosten der Krankenversicherung zwischen verschiedenen „Postleitregionen“ abbauen. NICE schreibt in seiner Selbstdarstellung, es habe „unangemessene Abweichungen bei der Qualität der Versorgung und ungleichen Zugang zu neuen Behandlungen gegeben, abhängig davon, wo man lebte... Die Regierung beschloß, eine Organisation zu bilden, um die Versorgung, die die Patienten vom NHS in England und Wales erhalten, zu verbessern... Als NICE geschaffen wurde, sahen viele seine einzige Rolle in der Rationierung der Krankenversorgung. Aber das war nicht der Fall.“ (Quelle: www.nice.org/uk)

Tatsächlich ging NICE viel weiter, als die Versorgung bloß zu „rationieren“. Die physische Infrastruktur der medizinischen Versorgung wurde demontiert - was die Zahl der Mitarbeiter, die diagnostische Ausrüstung, die Zahl der Krankenhausbetten etc. angeht.

NICE behauptet auch, es nutze auch das Kriterium der „klinischen Effizienz“, aber die Realität ist eine andere. Man betrachte nur die Funktion des NICE-Zentrums für die Einschätzung von Gesundheitstechnologien, das mit seinen formellen Richtlinien, welche Medikamente zugelassen werden und welche nicht, immer wieder bewußt Leiden und Tod herbeigeführt hat. Dafür gibt es viele Beispiele:

Ärzte warnen: „NICE tötet!“

Das European Journal of Cancer griff NICE in seiner Ausgabe für März 2009 an und sagte, die Behörde werde - in ihren Entscheidungen, welche Behandlungen unter welchen Bedingungen zugänglich sind - von Jahr zu Jahr restriktiver, und richte sich in ihren Entscheidungen immer weniger nach klinischer Effizienz, und immer mehr nach Kosteneffizienz. So habe NICE im vergangenen Jahr beispielsweise vier Medikamente für die Behandlung fortgeschrittener Nieren- und Lungenkarzinome abgelehnt, und dabei zwar eingeräumt, wie der Londoner Independent berichtete, daß „diese Medikamente das Leben um bis zu sechs Monate verlängern, aber das Geld solle man lieber für andere Patienten ausgeben“.

NICE hat auch den Zugang zu radiologischen Behandlungen für Krebspatienten erschwert, sodaß sie jetzt erst eine monatelange Chemotherapie durchlaufen müssen, bevor eine Bestrahlungstherapie zugelassen wird - oder sie müssen ganz auf diese Behandlung verzichten. Schon nach sechs Jahren betrug die Wartezeit für radiologische Behandlungen bis zu sechs Wochen, nach zehn Jahren hat sie sich auf 11 Wochen fast verdoppelt, wie die (amerikanische) Commonwealth Foundation berichtete.

Das Resultat zeigt sich eindeutig in neuen vergleichenden Studien des schwedischen Karolinska Institute und des British College of Radiologists. In Großbritannien liegt die Überlebensrate von Brustkrebspatientinnen fünf Jahre nach der ersten Diagnose um 10-18% unter der in den übrigen größeren Staaten Europas oder den Vereinigten Staaten; sie reichen von 71% in Frankreich bis 53% in Großbritannien. Bei männlichen Patienten ist die Überlebensrate bei verschiedenen Krebsformen fünf Jahre nach der ersten Diagnose 10% niedriger, sie reicht von 53% in Frankreich bis zu 43% in Großbritannien. Die Entscheidungen des NICE verkürzen also Hunderttausende von Menschenleben.

Ein Londoner Onkologe, Dr. Karol Sikora, warnte die USA kürzlich in einem Artikel davor, dem NICE-Modell zu folgen. In einem Artikel des in New Hampshire erscheinenden Union Leader - „Diese Gesundheits-,Reform’ wird Sie umbringen“ - schrieb er am 12. Mai 2009: „Als praktizierender Onkologe bin ich gezwungen, den Patienten ältere, billigere Medikamente zu geben. Der wahre Preis dieser Pfennigfuchserei ist der vorzeitige Tod Tausender Patienten - und höhere Gesamtkosten für das Gesundheitssystem, als wenn man sie richtig behandelt hätte... Wenn NICE zu dem Schluß kommt, daß ein neues Medikament nicht genug bringt fürs Geld, ist es über den öffentlichen Nationalen Gesundheitsdienst, der die Mehrheit der Briten versorgt, nicht erhältlich...

Zum Teil infolge dieser Restriktionen bei neuen Medikamenten sterben britische Patienten früher. In Schweden überleben 60,3% der Männer und 61,7% der Frauen eine Krebsdiagnose. In Großbritannien liegt der Anteil zwischen 40,2% und 48,1% bei Männern und zwischen 48% und 54,1% bei Frauen.“

Um die britischen Ärzte und Patienten zu überwachen, die wiederholt gegen NICE protestierten, nahm am 1. April 2009 eine neue Behörde die Arbeit auf, die sog. „Kommission für Versorgungsqualität“. Unter der Leitung von Barbara Young - Baroness Young of Old Scone (!) - hat die Kommission weitreichende Befugnisse, Ärzte, Krankenhäuser und andere zu maßregeln, damit sie sich an die „Kosten-Effizienz“-Vorschriften von NICE und NHS halten.

Mathematik des Todes

Im Frühjahr wurde Sir Michael Rawlins, der Vorsitzende von NICE seit dessen Gründung, für weitere zwei Jahre im Amt bestätigt. Er trägt seinen Teil dazu bei, für den der Nazimedizin ähnlichen NICE-Ansatz in der „Reform“-Kampagne des Weißen Hauses zu werben. Im April produzierte er für einen von Health Channel TV veranstalteten „Gipfel“ ein Video über die amerikanische Gesundheitspolitik. Das Magazin Time fragte Rawlins am 27. März in einem Interview: „Warum wird NICE gebraucht? Sollte man die Medikamente, die man braucht, nicht bekommen, wenn man krank ist, unabhängig von den Kosten?“

Rawlins antwortete: „Alle Gesundheitssysteme stehen vor dem Problem endlicher Ressourcen und fast unendlicher Nachfrage... Wir sind am bekanntesten dafür, daß wir neue Medikamente, Geräte oder Diagnosetechniken daraufhin betrachten, ob die Vergrößerung der Kosten dieser Behandlung der Vergrößerung der Gesundheit entspricht...“

Rawlins: „Es beruht auf den Kosten eines Maßes, das man als ,qualitätsgewichtetes Lebensjahr’ [QALY] bezeichnet. Ein QALY bewertet Ihre Gesundheit auf einer Skala zwischen null und eins: Null, wenn man tot ist, und eins, wenn man bester Gesundheit ist. Man stellt fest, wie weit ein Patient durch eine bestimmte Behandlung auf dieser Skala angehoben würde. Wenn man eine künstliche Hüfte einsetzt, kann der Patient vielleicht von 0,5 auf 0,7 aufsteigen, sich also um 0,2 verbessern. Man kann annehmen, daß ein Patient nach einer Hüfttransplantation im Schnitt noch 15 Jahre lebt. 0,2 mal 15 ergibt qualitätsbereinigt drei Lebensjahre. Wenn die Kosten einer solchen Hüftoperation bei 10.000 britischen Pfund liegen [ca. 11500 Euro], muß man die 10000 Pfund durch drei teilen, das ergibt 3,333 Pfund [ca. 3833 Euro]. Das sind die Kosten pro QALY.“

Als ihn sein Gesprächspartner fragte: „Sie entscheiden im Grunde also, wieviel ein Lebensjahr wert ist?“, stimmte Rawlins zu und sagte, dies sei zwar „kontrovers“, aber notwendig.

Ein NICE-Ableger in den USA?

Einer der NICE-Gründer und Mitarbeiter von Rawlins spielt heute eine führende Rolle beim Export dieses Konzepts in die Vereinigten Staaten. Simon Stevens ist heute Vizepräsident der UnitedHealth Group und leitet deren Tochter Ovations/AARP Medicare. Er begann seine Karriere 1997 als politischer Berater des britischen Gesundheitsministeriums unter Tony Blair bis 2001. In dieser Zeit wurde NICE gegründet. 2001 kam Stevens direkt in die Downing Street No. 10 und war dort bis 2004 Tony Blairs gesundheitspolitischer Berater.

Stevens gilt als der Architekt der sogenannten „NICE“-Reform des NHS. Im Januar 2007 ging Stevens nach Minneapolis, wo er einen Führungsposten bei UnitedHealth übernahm, um von dort aus für seine Kostendämpfungs-„Reformen“ in den Vereinigten Staaten zu wirken.

Am 27. Mai kündigte Stevens Vorschläge an, wie Medicare die Kosten der Krankenversorgung für Senioren senken könne, als eine Geste einer der führenden privaten Versicherungen, um Präsident Obama Wege aufzuzeigen, wie die Regierung bei ihrer beabsichtigten umfassenden Gesundheits-„Reform“ Geld sparen könne. Stevens erklärte, die UnitedHealth Group habe ein neues Zentrum für Gesundheitsreform und Modernisierung eingerichtet, um neue Wege der Kostensenkung bei der Bereitstellung einer allgemeinen Krankenversicherung zu finden.

Stevens sagte, seine Vorschläge könnten in den kommenden zehn Jahren Einsparungen von bis zu 540 Mrd. $ bei den Gesundheitsausgaben bewirken. Stevens legte namens der UnitedHealth Group, die behauptet, die Krankenversicherungsleistungen für 70 Millionen Amerikaner zu finanzieren und zu verwalten, einen Bericht vor, in dem es heißt, viele der Kostensenkungsmaßnahmen, die das Unternehmen schon jetzt nutze, könnten auch im Medicare-Programm Anwendung finden.

Stevens’ Bericht enthält 15 Schritte, mit denen angeblich eine halbe Billion Dollar eingespart werden sollen. Die größte Gruppe dieser Schritte (nämlich sechs) fällt in die Kategorie „Reduzierung vermeidbarer und unangemessener Versorgung“.

Marcia Merry Baker

Lesen Sie hierzu bitte auch:
Jetzt handeln! Gegen Obamas Politik der „Menschenopfer“
- Neue Solidarität Nr. 24/2009
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Dossier über die vorsätzliche Zerstörung der Gesundheitssysteme
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