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Neue Solidarität
Nr. 45, 7. November 2012

Ehemaliger Mossad-Chef fordert Dialog statt Krieg

In einer Rede in Washington forderte der frühere Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Efraim Halevy diplomatische Anstrengungen wie zur Zeit der Kubakrise.

Der frühere israelische Geheimdienstchef Efraim Halevy hat in einem nüchternen und staatsmännischen Vortrag in Washington am 18. Oktober überzeugende Argumente gegen einen Nahostkrieg vorgetragen. Die Veranstaltung des Woodrow-Wilson-Zentrums trug den Titel „Iran, Palästina und der arabische Frühling: Die Sicht aus Israel“.

Halevy arbeitete seit 1961 für den israelischen Geheimdienst Mossad und leitete ihn 1998-2002, er war ein enger Mitarbeiter des israelischen Premierministers Yitzhak Rabin, bis dieser ermordet wurde, und er war wesentlich an den Verhandlungen über das israelisch-jordanische Friedensabkommen beteiligt.

Vor einigen Wochen warnte Halevy in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Ha’aretz energisch vor einer größeren Konfrontation mit dem Iran und forderte indirekt eine Lösung im Geiste des Westfälischen Friedens. Halevy schloß dieses Interview mit der Erklärung: „Es lohnt immer, daran zu erinnern, daß der größte Sieg im Krieg der Sieg ist, den man erringt, ohne einen einzigen Schuß abzugeben.“ Diese Idee griff er auch bei seinem Auftritt in Washington auf.

Nach der Begrüßung durch die Direktorin Jane Harman und Aaron David Miller vom Woodrow-Wilson-Zentrum führte Halevy in seiner Rede zunächst drei Gründe an, warum wir in einer Zeit beispielloser Instabilität leben, „in der einzelne Ereignisse, die nicht vorhersehbar sind, enorme Folgen für den Verlauf der Geschichte haben“ und an vielen Fronten Konflikte und Kriege auslösen können, die leicht außer Kontrolle geraten. Diese drei Gründe seien 1. der Souveränitätsverlust praktisch aller Regierungen in der Region, 2. der Niedergang des säkularen Staates und 3. die Entwicklung des vergangenen Jahres, als der Nahe Osten zu einer Zone internationalen Konflikts zwischen Weltmächten wie den USA und Rußland wurde.

In praktisch allen Ländern der Region - Ägypten, Syrien, Irak, Libanon, sogar Saudi-Arabien - kämpften die Führungen damit, ihr Land noch regieren zu können. Es gebe „einen klaren Aufschwung der Religion als großer Faktor beim Regieren von Staaten“, der weltliche Staat befinde sich im Niedergang. Halevy bekannte: „Ich glaube nicht, daß wir die Wege und Mittel gefunden haben, mit der Religion als politischem Faktor bei der Ausprägung der internationalen Beziehungen umzugehen.“

Schließlich kam er darauf zu sprechen, wie weit sich der Nahe Osten inzwischen in eine Arena eines potentiellen Konfliktes zwischen den Großmächten verwandelt hat: „Wir haben auch andere Aspekte der Situation, über die wir uns völlig im klaren sein müssen. Voran möchte ich die Tatsache erwähnen, daß Rußland als ernstzunehmender Akteur in den Nahen Osten zurückkehrt. Nach der Auflösung der Sowjetunion spielte Rußland mehr als ein Jahrzehnt lang keine große Rolle. Aber das ändert sich nun. Die Veränderung begann nach den Ereignissen in Libyen. Wir erleben nun den Beginn eines russischen Comebacks im Nahen Osten... Also nochmals: Der Nahe Osten wird nun wieder zur Bühne eines internationalen Konfliktes. Das läßt sich nicht ignorieren und nicht bestreiten.“

Diplomatie mit Iran ist möglich

Nach dieser gründlichen Analyse, warum der Nahe Osten zum Zünder wurde, der einen Weltkrieg auslösen kann - zum „neuen Balkan“, wie Lyndon LaRouche es nennt -, beschrieb Halevy zum Abschluß seiner einleitenden Bemerkungen seine Sicht des Iran. Er scherzte, wenn er den Iran nicht erwähnen würde, dann hieße es, er versäume „seine Pflichten als Israeli“.

Der Iran sei zunehmend isoliert und widersetze sich praktisch der gesamten Welt. An den „P5+1-Gesprächen“ (fünf ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland) mit dem Iran seien ja auch Rußland und China beteiligt, und diese Länder seien sich mit den Vereinigten Staaten einig darin, zu verhindern, daß der Iran sich Kernwaffen verschafft. Nicht einig sei man sich darin, wie dieses Ziel zu erreichen sei. Halevy:

„Die Entfernung zwischen Teheran und Moskau ist etwa so weit wie die Entfernung zwischen Teheran und Jerusalem. Und deshalb gibt es hier Raum für sehr professionelle Bemühungen, um den Iranern aus der Patsche zu helfen und damit uns allen aus der Patsche zu helfen. Wie das geschehen kann, das ist ein großer Test für die internationale Diplomatie. Wie man das zuwege bringt, ist ein großer Test für die Köpfe und die Hirne hier in Washington und anderswo in aller Welt. Ich denke, es ist machbar, denn letztendlich haben die Iraner bei vielen Gelegenheiten in der Vergangenheit bewiesen, daß sie Wege und Mittel gefunden haben, zurückzustecken, wenn sie erkennen, daß es nicht in ihrem nationalen Interesse ist, die Konfrontation auf dem Niveau fortzusetzen, das sie über die Jahre aufgebaut haben...

Die Beziehungen zwischen dem Nahen Osten und der ganzen Welt haben in den letzten beiden Jahrhunderten eine Menge Probleme durchlebt, und die Völker des Nahen Ostens hatten verschiedenste Arten von Beziehungen zu den äußeren Mächten. Neben ihren grundlegenden wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen gibt es drei weitere Interessen, die für die Völker des Nahen Ostens sehr wichtig sind.

Eines war es, zu versuchen, ihren Lebensstil beizubehalten, und ihr Lebensstil war nicht das westliche, demokratische System. Es gehörten dazu keine Parlamente, die so gewählt werden, wie man es hier tut... Es ist also eine Frage der Kultur, der grundlegenden Kultur, und wir haben bisher nicht die Wege und Mittel gefunden, einen interkulturellen Dialog zu führen. Ich möchte daran erinnern, daß es vor einigen Jahren Bemühungen der Vereinigten Staaten gab, Demokratie in den Nahen Osten zu bringen - übrigens von Seiten einer republikanischen Regierung, unter dem letzten Präsidenten. Und es hat nicht funktioniert! Denn so geht es in diesem Teil der Welt nicht. Es geht darum, wie man zwischen einem System und einem anderen System vermitteln kann, im Guten wie im Schlechten.

Zweitens gibt es für die Nationen im Nahen Osten, für die arabischen Nationen und besonders für die iranische Nation, das grundlegende Problem der Würde. Sie fühlen zutiefst, daß sie keine Würde genießen. Ich weiß nicht, wie man beschreiben kann, was Würde ist. Ich kann Ihnen kein Rezept liefern, was die Komponenten von Würde sind, aber die Würde steht sehr hoch auf der Liste der Elemente, die den Ländern des Nahen Ostens Schwierigkeiten bereiten...

Und das ist das Dritte: die Atmosphäre. Es gibt im Nahen Osten derzeit eine Atmosphäre der Mutlosigkeit. Die Menschen glauben nicht, daß bei dem, was vor sich geht, irgend etwas Gutes herauskommen kann - nichts Gutes bei dem, was in Syrien geschieht, nicht einmal Gutes bei dem, was in Ägypten geschieht. Letztendlich gibt es keine einfachen Lösungen, es gibt überhaupt keine Lösungen von heute in einem absehbaren Zeitrahmen.

Wie soll man 80 Millionen Münder in Ägypten sattmachen? Niemand weiß wirklich, wie man das schafft. Wie soll man 80 Millionen Münder im Iran sattmachen? Niemand weiß wirklich, wie man das schafft. Und wenn man nicht weiß, wie man etwas bewältigen kann, dann befaßt man sich häufig lieber erst gar nicht damit und hofft, daß es von allein wieder verschwindet oder etwas geschieht, was es verschwinden läßt.“

Bevor er dann Fragen aus dem Publikum annahm, betonte Halevy, er habe seine einleitenden Bemerkungen bewußt so gewählt, weil er die Dinge in die richtige Perspektive stellen wollte, statt auf das Technische von Einzelfragen einzugehen. „Eines von dem, was uns in den letzten Jahren gefehlt hat, war die Perspektive. Wir haben uns mit Problemen befaßt, wenn diese auftauchten. Aber jetzt müssen wir, denke ich, unsere Sichtweise der Dinge auf eine höhere Ebene heben, denn wir werden mit dieser Situation noch eine ganze Weile leben müssen.“

„Wir müssen mit ihnen reden!“

Halevy beantwortete mehrere Fragen, von denen einige den Iran betrafen. Er bekräftigte seine schon früher gemachten Erklärungen, daß es keine Bedrohung für die Existenz des Staates Israel wäre, wenn der Iran Kernwaffen entwickelt. Die Lösung liege im Dialog: „Wir müssen mit ihnen reden. Wir brauchen einen Dialog mit ihnen. Und ich bin ein großer Anhänger des Dialogs - daß man mit den Menschen redet... Man muß einen Dialog führen. Man muß mit dem Menschen reden! Man muß ihren Geist ansprechen, ihre Gedanken, ihre Gefühle usw., statt nur auf sie einzuhämmern.“

Zuletzt fragte ein Reporter von Fox News Halevy nach seiner Einschätzung der derzeitigen Beziehung zwischen der US-Regierung und Israel und ob Israel Unterstützung für einen unilateralen Angriff auf die iranischen Atomanlagen haben würde. Halevys hielt die Antwort auf den ersten Teil der Frage sehr knapp, um so ausführlicher ging er auf die Frage eines möglichen Militärschlags gegen den Iran ein.

„Ich habe öffentlich gesagt, daß ein Militärschlag meiner Meinung nach nicht nur die allerletzte Option sein sollte, sondern daß wir uns klarmachen sollten, was die möglichen Konsequenzen eines solchen Schlages wären. Stellen wir uns einmal vor, nur um der Argumentation willen, daß wir zuschlagen und die iranischen Kapazitäten vollständig vernichten. Was bedeutet das am Tag danach? Daß dann plötzlich alles eitel Sonnenschein ist und alle glücklich sind und die Iraner sagen werden: ,Wir haben die Botschaft verstanden, wir werden uns jetzt hinsetzen und friedlich zusammen iranischen Tee trinken?’ Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube daher, daß ein Militärschlag nur die allerletzte Option sein kann.

Die größte Leistung in einem Krieg - das sagte der alte chinesische Stratege Sun Tsu - ist die, ihn zu gewinnen, ohne einen einzigen Schuß abzugeben. Und ich denke, unser Ziel sollte es sein, den Krieg zu gewinnen, ohne einen Schuß abzugeben.“

Zum Abschluß der Veranstaltung erinnerte Halevy an das Wunder an Strategie und Diplomatie, das US-Präsident J.F. Kennedy während der Kubakrise, deren 50. Jahrestag gerade begangen wird, vollbracht hatte:

„Letztendlich glaube ich nicht, was immer auch am Ende geschehen wird, daß es zu einer klaren Entscheidung kommen wird. Die Lage wird noch eine Zeit lang unklar sein. Genau wie nach der Kubakrise - ich habe darüber in den letzten Wochen einiges gelesen: Die genauen Konturen dessen, worauf man sich zur Lösung der Krise geeinigt hatte, zeigten sich erst nach einiger Zeit. Wesentliche Elemente dieser Geschichte haben sich erst seit 30 oder 40 Jahren gezeigt. Und ich würde mich auf alle möglichen Arrangements einlassen, bei denen die Auflösung eine Lösung wäre, auf die man sich einigt, die sich aber erst nach einiger Zeit zeigt.

Es gibt Wege dafür. Wenn man es bei der Kubakrise geschafft hat, dann kann man es vielleicht auch hier tun. Ich sage nicht, daß man es kann; ich sage aber, man sollte es versuchen. Ich denke, es gibt vieles, was man noch nicht versucht hat. Das ist meine Überzeugung. Ich glaube, daß man das in den kommenden Monaten versuchen muß, und man muß es versuchen mit einer immensen Investition an gutem Willen, um zu einer Lösung zu gelangen. Ich denke, daß man das tun muß. Und das müssen Leute sein, die lösungsorientiert sind, nicht kriegsorientiert.“

Matthew Ogden

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