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Neue Solidarität
Nr. 31, 31. Juli 2013

Wann stellt die erste deutsche Stadt Konkursantrag?

Nach der Insolvenz der Stadt Detroit stellt sich die Frage: Stehen die deutschen Städte besser da?

Wenn eine große amerikanische Stadt wie Detroit die Zahlungsunfähigkeit erklärt, dann ist das leider gar nicht so weit entfernt, wie ein Blick auf die Landkarte glauben machen könnte. Der transatlantische Raum ist seit langem - nicht erst seit dem Zweiten Weltkrieg - ein mit den verschiedensten Querverbindungen zusammenhängendes Ganzes. Auch die finanzielle Lage amerikanischer Städte und Gemeinden ist von der entsprechender Kommunen in Europa und Deutschland nicht wirklich verschieden.

In Deutschland hat sich durch den Einbruch der Gewerbesteuer bei gleichzeitig zunehmenden, von den Kommunen zu leistenden vermehrten Sozialkosten seit den 1990er Jahren eine Schere aufgetan, die dazu führte, daß immer mehr Kommunen wegen finanzieller Notlage unter die Aufsicht einer übergeordneten Behörde gestellt wurden. Von den 430 Kommunen in Nordrhein-Westfalen - wo die städtische Agglomeration des Ruhrgebiets mit Detroit vergleichbar, aber zehnmal größer ist - hatten 2011 nur acht einen ausgeglichenen Haushalt und 140 unterstanden dem Sparkommissar einer übergeordneten Behörde, d.h. ihre Ausgaben, bzw. alle Kosten verursachenden Beschlüsse, wurden überwacht. Wenn die kommunalen Gremien den von dem Sparkommissar gemachten „Vorschlägen“ zur Haushaltssanierung nicht folgen, dann kann die übergeordnete Behörde einen „Staatskommissar“ schicken, der eine Sparpolitik ohne Beschlüsse kommunaler Gremien durchführen kann, also eine Art „Finanzdiktator“.

Mit 1,8 Mrd.€ (2011) am stärksten verschuldet ist dabei die Ruhrgebietsstadt Oberhausen, deren Verbindlichkeiten schon 2011 ihre Vermögenswerte überstiegen. Die Lage erinnert sehr an amerikanische Verhältnisse. So kam es statt des Aufbaus eines Internationalen Gesundheitszentrums auf dem Gelände eines ehemaligen Stahlwerks zur Etablierung von Spielhallen an gleicher Stelle. Die städtischen Verkehrsbetriebe lassen den ausgedünnten Nachtverkehr schon um 21 Uhr beginnen, die Ausgaben für Kulturleben, Schulen, Friedhöfe usw. wurden reduziert, das Geld für die Sanierung der Haupteinkaufsstraße war nicht da.

Als 2011 der nordrhein-westfälische Landtag einen „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ verabschiedete, wurde das von vielen Kommunalpolitikern sehr kritisch aufgenommen und als „eine Art bessere Sterbehilfe“ bezeichnet. Zwar sollten von Ende 2011 an die 34 ärmsten Kommunen Nordrhein-Westfalens jährlich 350 Millionen Euro aus dem Landeshaushalt bekommen, doch dafür mußten sie sich verpflichten, bis 2020 zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen, was damals für Oberhausen u.a. mit den Worten kommentiert wurde: „Oberhausen müßte 100 Millionen Euro pro Jahr sparen. Wenn man fast alle städtischen Angestellten entlassen würde, käme man in etwa auf diesen Betrag.“1 Generell habe die bisherige Sparpolitik nichts gebracht, sondern die Defizite nur vergrößert.

Zunehmende Abhängigkeit von Kassenkrediten

Angesichts dieser Lage mußten seit den 1990er immer mehr Kommunen zum Hilfsmittel sogenannter Kassenkredite greifen, um überhaupt ihre laufenden Verwaltungsaufgaben, z.B. die Gehälter ihrer Angestellten, bezahlen zu können. Kassenkredite sind Vorfinanzierungen der Banken und Sparkassen auf die zu erwartenden Einnahmen der Kommunen, die somit, wenn sie dann schließlich kommen, den Kommunen nicht mehr gehören, sondern an die Finanzinstitute gehen. Die Verschuldung der Kommunen in Deutschland besteht mittlerweile zu über 30% aus Kassenkrediten und explodierte laut Deutschem Städtetag zwischen 1992 und 2006 von 1,2 Mrd.€ auf 28,4 Mrd.€. Ursprünglich als eine Art Dispositionskredit gedacht, sind Kassenkredite „inzwischen eher eine dauerhafte Lösung der Finanzierung vieler Verwaltungsausgaben“2 der Kommunen geworden. Die sehr geringen Kreditzinsen der vergangenen Jahre führten dazu, daß in manchen Kommunen in NRW der Anteil der Kassenkredite an der kommunalen Gesamtverschuldung sogar die 50%-Marke erreicht hat.

Mainz, die Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz, hatte 2012 bei einem Haushalt von 514 Mio.€ eine Verschuldung in Kassenkrediten in der Höhe von 800 Mio.€,3 weitere Fälle ähnlicher Art ließen sich hinzufügen.

Zwar waren die Kreditzinsen in der jüngsten Zeit besonders gering, doch war das eine Ausnahmesituation. In den Jahren zuvor waren die Zinsen für kurzfristige Kredite - also für Kassenkredite - normalerweise höher als für langfristige Kredite (die die Kommunen für Investitionen wie z.B. Bauvorhaben aufnehmen). Zudem richteten sich die Zinsen für Kassenkredite nach dem Zinssatz, zu dem sich Banken untereinander kurzfristig Geld leihen, und das kann zu erheblichen Schwankungen auch für die Zinsbelastung der Kommunen führen, da die Vereinbarungen über Kassenkredite normalerweise mit einem variablen Zinssatz abgeschlossen werden. So wurden Kommunen und ihre Kämmerer zur Zielgruppe für „Finanzprodukte“ wie„Swaps“ (Finanztermingeschäfte), die von Investmentbanken bzw. den Investmentabteilungen von Universalbanken mit dem Versprechen angepriesen wurden, sie würden die auf den Schultern der Kommunen lastende Zinsbelastung verringern und somit die Finanzlage der Kommunen wieder freundlicher gestalten.

„Swaps“ als der falsche Ausweg

In den Jahren vor 2008 waren „Swaps“ so etwas wie der Geheimtip unter den Kämmerern deutscher Städte, entpuppten sich aber als Desaster. ZEIT ONLINE berichtete Ende 2012 von einem Fall aus dem Jahr 2008, bei dem einem Kunden ein Swap angeboten wurde, der ihm in den ersten beiden Jahren jeweils 3.000 Euro einbringen würde, „ohne einen Cent einzuzahlen. Was am Laufzeitende im Jahr 2011 geschehe, hing allerdings von der Wertentwicklung eines eigens konstruierten Index ab, der die Entwicklung von 20 verschiedenen Währungen abbildete.“ Kaum war der Vertrag unterzeichnet, kam es zu einem Fallen des Index und der Kunde erhielt zwar noch die 6.000 Euro, doch ein Jahr später, zum Ende des Vertrages, präsentierte ihm die Bank eine Forderung über 30.000 Euro.4

In einer Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages im April 2011 berichtete Gert Hager, Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim, von den Versuchen seiner Stadt, die erhebliche Zinsbelastung durch den Einsatz derivater Geschäfte wie Zins-Swaps zu „optimieren“. heute im bundestag berichtete: „Nachdem die Deutsche Bank erhebliche Zinsausgleichszahlungen gefordert habe, habe die Stadt versucht, das Risiko zu reduzieren, indem man mit der Bank J.P. Morgan Chase ,Spiegelswaps’ abgeschlossen habe... In diesem Zusammenhang sei es aber zu weiteren Derivate-Geschäften mit J.P. Morgan Chase gekommen. Mittlerweile seien die Geschäfte mit beiden Banken beendet: ‚Der Stadt Pforzheim entstand hieraus ein Verlust von rund 56 Millionen Euro’, stellte Hager fest.“5

2010 und 2011 kam es dann zu einer Klagewelle von Kommunen und Unternehmen gegen Banken wegen Swap-Geschäften, wobei die Deutsche Bank herausstach und der Vorwurf immer auf mangelde Beratung lautete. Größere mediale Aufmerksamkeit bekam dabei der Fall des hessischen Papierherstellers Ille, dem der Bundesgerichtshof eine von der Deutschen Bank zu zahlende Entschädigung in Höhe von über einer halben Million Euro zusprach.

Der Ausweg aus dem Desaster

U.a. durch diese Klagewelle gerieten Swaps als „Finanzprodukte“ derart in Verruf, daß sie heute als „verbrannt“ gelten. Gefährlich für die Kommunen sind aber nach wie vor die variablen Zinssätze der Kassenkredite, über deren Manipulation durch LIBOR und EURIBOR die diese Zinssätze festlegenden führenden Banken Milliarden in aller Welt abschöpfen können.

Um erfolgreich zu sparen, braucht man in einer Kommune wie in einer Nation zuallerst eine Politik produktiver Wertschöpfung, die Produktion von wirklichem, materiellem Reichtum. Um die für eine derartige Politik günstigen Rahmenbedingen zu erzeugen, bedarf es einer Glass-Steagall-Bankentrennung, die spekulatives Finanzverhalten nicht mehr begünstigt, sondern die solide Wertschöpfung von arbeitenden Menschen. Wenn diese nicht gegeben ist, führt Sparpolitik nur zu einer sich beschleunigenden Zusammenbruchsspirale, und jede neue Sparrunde vergrößert das Defizit und führt in den Ruin. In den USA... und in Deutschland.

Hans Peter Müller


Anmerkungen

1. Alle Angaben zu Oberhausen in diesem Artikel stammen aus dem gut recherchierten Beitrag von Bernd Dörries „1,8 Milliarden Euro Schulden“, abgedruckt in der Süddeutschen Zeitung vom 20.10. 2011.

2. Ronny Freier und Verena Grass: „Kommunale Verschuldung in Deutschland: Struktur verstehen - Risiken abschätzen“, Wochenbericht 16/2013 des DIW Berlin.

3. „Deutschen Gemeinden droht gefährliche Zinsfalle“ von Tobias Kaiser in Die Welt vom 11.11.2012.

4. „Schlechter Tausch“ von Daniel Schönwitz in ZEIT ONLINE, 29.11.2012.

5. heute im bundestag Nr.150/1, 6.4. 2011: „Sachverständige sehen hohe Risiken bei Zins-Swap-Geschäften von Gemeinden“.