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Neue Solidarität
Nr. 7, 17. Februar 2016

Zwei italienische Missionare der Klassik in Manhattan

Zwei außergewöhnliche Opernsänger aus Italien, Fausta Ciceroni (Sopran) und Alessio Magnaguagno (Baß), haben im vergangenen November und Dezember am „Manhattan-Projekt“ in New York City mitgewirkt. Die beiden arbeiten insbesondere daran, Kindern und Jugendlichen die klassische Musik nahezubringen. Im folgenden Interview sprechen sie über ihre Erfahrungen und ihre Arbeit. Mit ihnen sprach Liliana Gorini, die Vorsitzende der italienischen Bürgerrechtsbewegung Solidarität (Movisol).

Es ergab sich ganz zufällig. Wir standen in Kontakt mit einer italienischen Vereinigung in New York, die zu dem Musikabend eingeladen wurde, und die haben die Einladung an uns weitergegeben. Da wir beide Opernsänger sind, haben wir angeboten, bei der Veranstaltung Verdi-Arien zu singen. Dieses Angebot wurde angenommen. Wir und andere Künstler sangen, am Klavier begleitet von dem wunderbaren Maestro Robert Wilson. Es war für uns ein bewegendes Erlebnis, in doppelter Hinsicht, vor allem wegen des hervorragenden Publikums und des exzellenten Pianisten, aber auch, weil wir zum ersten Mal erlebt haben, wie es sich bei a’= 432 Hz singt. Es war unglaublich, wie natürlich sich diese Stimmung anfühlt. Wir waren schon vorher Unterstützer der Verdi-Stimmung, aber nun erst recht.

Wir hatten Gelegenheit, die beiden Aufführungen des Messias in Brooklyn und Manhattan anzuhören. Die Konzerte waren großartig, insbesondere der Chor war sensationell. Die Kirchen waren voll und das Publikum sehr aufmerksam und respektvoll, und am Ende applaudierte es herzlich. Der soziale und logistische Kontext der beiden Konzerte war unterschiedlich, aber beide Aufführungen hatten gemeinsam, daß das Publikum dem Musikprogramm ganz konzentriert folgte, und wir genossen als Teil des Publikums die Verdi-Stimmung. Es war sehr erfreulich zu sehen, daß ganze Familien das Konzert besuchten, was zeigt, daß die Musik eine Brücke zwischen den Generationen sein kann, und eine Gelegenheit, die Emotionen der großen Kunst miteinander zu teilen. Viele junge Menschen kamen auch von sich aus zu diesen Veranstaltungen. Sie waren anfangs etwas unsicher, so als müßten sie sich rechtfertigen, weil sie zwei Stunden ihrer Zeit für klassische Kultur aufwenden. Aber ihr Applaus am Ende und ihr Gesichtsausdruck beweist, daß die großen Werke der Kunst keine Grenzen der Zeit, der Generationen oder der Geographie kennen.

Sie haben in Rom Ihr eigenes „Manhattan-Projekt“, in dem Sie haben es geschafft, ohne staatliche Unterstützung 35 Opern an Schulen aufzuführen, und Sie laden Schüler ein, an den Aufführungen mitzuwirken, nachdem Sie ihnen das Singen von Grund auf beigebracht haben. Das ist ein sehr begrüßenswertes Projekt, das anderswo Nachahmer finden sollte, weil es die Jüngsten mit dem Erbe unserer Opern bekannt macht. Wie kamen Sie auf diese Idee?

Das ist eine delikate und interessante Frage. Wir beide kommen aus ganz verschiedenen Familien und Hintergründen, aber beide Familien waren immer überzeugt, daß Lernen und Wissen die einzige Quelle wahrer Freiheit und Unabhängigkeit ist. Deshalb hatten wir die Idee, unsere Leidenschaft für die Oper mit jedem zu teilen, der dazu bereit ist, und der gewillt ist, sich zu verbessern und zu lernen. Wir haben auch Menschen, die dazu noch nie die Gelegenheit hatten, das Singen gelehrt, so daß sie zum erstenmal auf einer Opernbühne stehen konnten.

Unsere Arbeit in den Schulen besteht vor allem darin, den Schülern beizubringen, zuzuhören, denn ein Konzert wird nicht nur von denen aufgeführt, die auf der Bühne sind, sondern auch vom Publikum. Das eine geht nicht ohne das andere. Und das haben wir mit unserem Projekt „Jungen und Mädchen gehen in die Oper“ verwirklichen wollen: Die Oper kommt in die Schule, und die Schulen kommen in die Oper!

Wir organisieren Besuche der Hauptdarsteller der geplanten Opernaufführungen in den teilnehmenden Schulen, damit sie die Schüler in deren eigener Umgebung treffen. Wir erklären den Schülern, was sie sehen und hören werden und was die Absicht des Komponisten und Librettisten ist. Wir spielen einige der Kompositionen des Komponisten vor - nicht die Oper, sondern etwas anderes -, damit die Schüler seine Kompositionsweise kennenlernen, ohne ihnen die Überraschung der Aufführung zu nehmen. Dieser „Konzert-Unterricht“ bietet eine wunderbare Gelegenheit, ihnen die Idee der Oper zu erklären, sie in die Lage zu versetzen, die Dimension des Hörens zu verstehen, ihre Fragen zu beantworten und sie auf eine höhere Ebene der Teilhabe anzuheben. Und wenn dann 500 Schüler im Theater sitzen, sich drei Stunden lang eine Oper anhören und am Ende tosend applaudieren, dann ist das eine großartige Belohnung.

Wir haben einen Schritt nach dem anderen getan, angefangen mit einaktigen [komischen] Opern wie Pergolesis Die Magd als Herrin (La Serva Padrona), Mozarts Bastian und Bastienne, Donizettis Rita oder der geprügelte Ehemann und seine Betly oder das Chalet in der Schweiz. Der Erfolg dieser Opern veranlaßte uns, zu einem gewichtigeren Repertoire voranzuschreiten, von Mozarts Cosi fan Tutte über Verdi, Rossini, Donizetti, Bizet bis zu Puccini.

Eine sehr angenehme Erinnerung ist sicherlich Bizets Carmen. Die Partitur fordert einen Chor von Straßenkindern mit „weißen Stimmen“ [ohne Vibrato und ohne Glanz], und wir beschlossen, ihn den Schülern in einer der Schulen beizubringen. Drei Monate lang waren wir zweimal pro Woche in der Schule, um die Knaben zu unterrichten: erst, wie man sich überhaupt in einem Opernhaus verhält, dann die Grundlagen des Solfège und des Gesangs, bis die Aufführung in der Intonation und im Rhythmus perfekt war. Und die kleinen Kerle waren ganz begeistert, daß sie im vollen Bewußtsein ihrer Rolle und ihrer Verantwortung auf der Bühne auftreten und den Chor ganz auf sich gestellt aufführen konnten!


Anmerkungen

1. Den Mitschnitt des Musikabends mit Ciceroni und Magnaguagno finden Sie auf der Internetseite des Schiller Institute unter:
http://www.schillerinstitute.org/highlite/2015/1107-ny/schillerfest.html.

2. Die Mitschnitte der Konzerte finden Sie auf der Internetseite des Schiller Institute unter:
http://www.schillerinstitute.org/highlite/2015/1219-nyc-messias/main.html.