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Von David Shavin
Die neue russische Nukleardoktrin, die Präsident Putin am 25. September vorgestellt hat (siehe Artikel in dieser Ausgabe), richtet sich direkt gegen die vorherrschende Phantasie der „Anglosphäre“, man könne Rußland mit Atomwaffen erpressen, indem man Raketen immer näher an Moskau heranbringt, ohne ein Risiko für London oder Washington einzugehen. Moskau soll auf das Märchen hereinfallen, nicht-nukleare Staaten – die Ukraine – würden „ohne westliche Beteiligung“ Langstreckenraketen auf Rußland abschießen. Das tut es aber nicht. Der ehemalige russische Präsident und Premierminister und jetzige Vizepräsident des Sicherheitsrates, Dmitrij Medwedjew, hat es auf den Punkt gebracht:
„Eine Aggression gegen Rußland durch einen Staat ohne Atomwaffen, aber mit Unterstützung oder Beteiligung eines Staates mit Atomwaffen, wird als gemeinsame Aggression betrachtet. Jeder weiß, welche Länder gemeint sind... Unter bestimmten Bedingungen kann ein massiver Einsatz feindlicher Luftstreitkräfte, einschließlich Flugzeugen, Raketen und Drohnen, der zu einer Verletzung unserer Grenzen führt, den Einsatz von Atomwaffen rechtfertigen. Darüber sollten ... alle Feinde Rußlands, die die Welt in eine nukleare Katastrophe stürzen wollen, einmal nachdenken.“
Und er fügte hinzu: „Diese Änderung der Richtlinien unseres Landes für den Einsatz von Atomwaffen könnte schon an sich den Eifer derjenigen unserer Feinde dämpfen, die ihren Selbsterhaltungstrieb noch nicht gänzlich verloren haben.“
Trotz oder vielleicht gerade wegen der ernsten Konfrontation mit den USA betont Moskau weiterhin die Notwendigkeit strategischer Stabilität zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow antwortete einem TASS-Reporter: „Natürlich sollte es im Bereich der strategischen Stabilität einen rechtlichen Rahmen geben, für den unsere Länder weitgehend verantwortlich sind. Die Gespräche sollten so bald wie möglich beginnen. Es ist unmöglich, über strategische Sicherheit zu sprechen, ohne die neuen Aspekte zu berücksichtigen und ohne das Ganze zu betrachten, einschließlich des nuklearen Potentials Europas. All das sollte ... in seiner Gesamtheit betrachtet werden.“
Sein Zusatz, „wir haben noch keine Antwort von den Amerikanern erhalten“, läßt darauf schließen, daß das Angebot bereits übermittelt wurde.
Die Gründerin des Schiller-Instituts und Initiatorin der Internationalen Friedenskoalition (IPC), Helga Zepp-LaRouche, kommentierte am 26. September Putins Äußerungen:
„Faktisch hat Putin die rote Linie so klar gezogen, daß jeder sehen kann, daß Rußland nach seiner neuen Doktrin das Recht hat, auf einen massiven Luftangriff eines Landes, das nur konventionelle Waffen hat, aber von einem Land mit Atomwaffen unterstützt wird, mit Atomwaffen zu antworten.
Das bezieht sich offensichtlich auf die Ukraine, denn verschiedene russische Sprecher, von Lawrow bis Peskow, und ich glaube auch Putin selbst, haben sehr deutlich gemacht, daß alle diese ukrainischen Angriffe ohne die Anleitung, die Satelliten- und Datenunterstützung der USA oder der NATO unmöglich wären. Und wenn dieser weitere Schritt gemacht wird – wenn Biden vor der Forderung kapituliert, daß die USA der Ukraine grünes Licht geben, mit Langstreckenraketen tief in das russische Territorium vorzustoßen –, dann ist diese Bedingung erfüllt.
Wir stehen also am Abgrund, und ich kann nur sagen, daß diese westlichen Kommentatoren, etwa in Deutschland, die im wesentlichen immer noch behaupten, daß Putin blufft, so verrückt sind, daß man nur sagen muß: Wir sind ernsthaft in Gefahr, von Verrückten regiert zu werden, mit Medien, die völlig im Dienste dieser Verrückten stehen.
Die einzige Antwort ist daher eine breite öffentliche Debatte. Die Demonstrationen, die in nächster Zeit sowohl in den Vereinigten Staaten als auch insbesondere in Deutschland geplant sind, müssen zu einer klaren Demonstration der Meinung von Massen von Menschen werden, im besten Fall von Hunderttausenden oder Millionen von Menschen, daß sie das absolut ablehnen.“
Als Beispiele nannte sie die Demonstration „Rage against the war machine“ (Zorn auf die Kriegsmaschinerie) am 28. September in Washington und in Deutschland die Veranstaltungen zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober.
Das Treffen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj mit US-Präsident Joe Biden am 26. September im Weißen Haus war als Gelegenheit angekündigt worden, den USA seinen überarbeiteten „Friedensplan“ zu verkaufen, nun verpackt als „Siegesplan“. Medienberichten zufolge besteht ein wichtiger Teil dieses Plans darin, Kiew zu erlauben, westliche Langstreckenraketen tief in das russische Territorium abzufeuern.
Vor seinem Treffen mit Biden am Nachmittag sprach Selenskyj eine Stunde lang mit US-Senatoren, wobei er Berichten zufolge ebenfalls argumentierte, er brauche dringend die Erlaubnis, tiefer im Inneren Rußlands anzugreifen. Einige der anwesenden US-Politiker erklärten anschließend, sie hätten Selenskyj auch Vorschläge unterbreitet, wie er Biden gegenüber überzeugender auftreten könne.
Aus dem Kommuniqué des Weißen Hauses über das Treffen zwischen den beiden Präsidenten geht hervor, daß die US-Regierung zwar weitere Waffenlieferungen im Wert von 5,5 Milliarden Dollar und ein neues „Sicherheitshilfepaket“ im Wert von 2,4 Milliarden Dollar zugesagt hat, aber noch keine Erlaubnis für solche Angriffe tiefer im russischen Territorium erteilt hat. Allerdings soll in einigen Wochen über weitere Hilfe gesprochen werden, d.h. das Thema ist noch lange nicht vom Tisch. Die Pressemitteilung lautet:
„Präsident Joseph R. Biden Jr. traf sich heute mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus, um die Unterstützung der USA für die Ukraine bei der Verteidigung gegen die russische Aggression zu besprechen. Präsident Biden erläuterte seine Entscheidung, die Sicherheitshilfe der USA für die Ukraine zu erhöhen, und Präsident Selenskyj stellte seinen Plan für einen Sieg über Rußland vor. Die beiden Staatsoberhäupter erörterten die diplomatischen, wirtschaftlichen und militärischen Aspekte von Präsident Selenskyjs Plan und beauftragten ihre Teams, intensive Konsultationen über die nächsten Schritte zu führen. Am 12. Oktober wird Präsident Biden in Deutschland Gastgeber eines Treffens der Ukraine Defense Contact Group auf Führungsebene sein, bei dem die beiden Staatsoberhäupter die Fortschritte dieser Konsultationen überprüfen und sich mit internationalen Partnern über zusätzliche Unterstützung für die Ukraine abstimmen werden. Präsident Biden ist entschlossen, der Ukraine die Unterstützung zu geben, die sie braucht, um zu gewinnen.“
Das sind noch 17 Tage, um den ukrainischen Auslöser eines atomaren Weltkriegs zu stoppen.
Präsident Putin zeigte in seiner Rede auf dem 7. Forum der Russischen Energiewoche in Moskau am 26. September die Alternative auf, indem er die Rolle der BRICS-Staaten als wichtigste Triebkraft des Wachstums der Weltwirtschaft hervorhob. Es bilde sich ein neues multipolares Entwicklungsmodell, dessen Zentrum nicht in Europa oder Nordamerika ist: „Das Hauptwachstum wird ... in den BRICS-Staaten sein und in den Ländern, die unserer Gruppe beitreten wollen – in den Ländern, die die Aussicht auf eine gleichberechtigte Partnerschaft sehen, die ihre nationalen Interessen berücksichtigt.“ Vertreter zahlreicher Nationen hörten mit großem Interesse Putins Beschreibung eines Ausweges.
Helga Zepp-LaRouche fordert Europa und Nordamerika auf, „endlich die längst überfällige Diskussion darüber zu führen, wo wir stehen und warum wir versuchen, die ‚Hegemonie‘ aufrechtzuerhalten, obwohl es diese Hegemonie offensichtlich nicht mehr gibt… Wir müssen einen ganz anderen Ansatz auf die Tagesordnung setzen, wie wir ihn seit fast drei Jahren diskutieren: eine neue Sicherheits- und Entwicklungsarchitektur, die wirklich einen völlig anderen Ansatz verfolgen muß, um diese geopolitische Konfrontation zu beenden und mit der Globalen Mehrheit der Länder, die sich eindeutig in eine andere Richtung bewegen, zusammenzuarbeiten.“
Die Energieminister der BRICS+-Staaten hörten nicht nur Putins Rede in Moskau, sie trafen sich auch untereinander, während parallel die Außenminister der auf neun Staaten erweiterten BRICS-Gruppe am Rande der UN-Vollversammlung in New York zusammenkamen, um den bevorstehenden BRICS-Gipfel vom 22. bis 24. Oktober im russischen Kasan vorzubereiten. Die Welt ist in Bewegung. Die Frage ist: Was ist zu tun, damit sich Europa und Nordamerika vom Wahnsinn ihrer politischen Führung befreien können?
Zepp-LaRouche schloß ihren Vortrag mit den Worten: „Das ist eindeutig der gefährlichste Moment in der Weltgeschichte überhaupt. Manche wollen sich verstecken und denken: ,Wie kann ich mein eigenes Leben retten?‘ ... Aber angesichts der Gefahr eines Dritten Weltkrieges gibt es kein Verstecken! Also mobilisieren Sie all das Positive, das Sie über die Menschheit denken, und handeln Sie aus Liebe zur Menschheit. Denn was mich persönlich am meisten motiviert, ist der Gedanke, daß alles Schöne, was frühere Generationen geschaffen haben, verloren geht, wenn wir dieses Problem nicht lösen. Die Musik von Beethoven und anderen Komponisten, die Poesie all der wunderbaren Dichter auf der ganzen Welt, all das wäre umsonst komponiert worden. Und das wäre eine Schande!
Es ist also wirklich etwas, das man in sich mobilisieren muß, um die Kraft zu haben, Teil der Lösung zu sein und das zu stoppen und eine bessere Welt zu schaffen, mit einer neuen Weltwirtschaftsordnung durch die Zusammenarbeit mit den BRICS-Ländern, denn das wäre der einfache Ausweg.“
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